Beckenbauer-Doku in der ARD: Der letzte Kaiser – Märchen ohne Happy End
In einer sehenswerten Doku widmen sich Philipp Grüll und Christoph Nahr Franz Beckenbauer, der am Montag verstorbenen Lichtgestalt des deutschen Fußballs. 90 Minuten für einen wie den Franz? Eigentlich zu kurz.
A schmächtiges Krischperl, das sei der Franz gewesen. So erinnert sich Sepp Maier an die ersten Tage des jungen Beckenbauer beim FC Bayern München. Damals, anno 1964, als das 18-jährige Talent am 1. Spieltag der Aufstiegsrunde zur Bundesliga gegen den FC St. Pauli debütierte. Das mit dem Krischperl sollte sich zügig erledigen. Es dauerte nicht lang und Franz Beckenbauer prägte den deutschen Fußball mit einer Leichtigkeit, die man hierzulande im Spiel der Spiele noch nicht gesehen hatte. So elegant wie sein Spiel, so schillernd entwickelte sich seine Karriere, erst auf, dann neben dem Platz, schließlich in den Büros jener Fädenzieher, zu denen er selbst im wohl letzten Kapitel seines Schaffens geworden war.
"Beckenbauer", so schlicht nennen die Autoren Philipp Grüll und Christoph Nahr vom Bayerischen Rundfunk ihren Film über eine der, wenn nicht die prägendste Figur in der Geschichte des deutschen und Weltfußballs. Es ist der Stoff, aus dem Märchen sind: Ein schmächtiges Krischperl – vulgo: ein halbes Hemd – schwingt sich zum größten Fußballer der Nation auf, er schießt nicht, er streichelt den Ball. Er prägt seinen Verein, den FC Bayern München, später die Nationalmannschaft, deren goldene Generation um Maier, Müller, Breitner er anführt, 1974 Weltmeister als Spieler, 1990 auch als Trainer. Außer ihm gelang das bislang nur noch dem Brasilianer Mario Zagallo und Didier Deschamps aus Frankreich.
In den Nuller Jahren holt Beckenbauer die WM nach Deutschland, verstrickt sich später in der Kontroverse um die Turniervergabe nach Katar, stellt fest, "dort keine Sklaven gesehen zu haben". Schwarze Konten kommen ans Tageslicht, es gibt Korruptionsvorwürfe, der Bruch in der Biografie des lange Zeit Unantastbaren, der heute zurückgezogen in Salzburg lebt und gesundheitlich schwer angeschlagen ist.
Grüll und Nahr erzählen diese Geschichte ganz klassisch, entlang der Chronologie der Ereignisse. Fernsehaufnahmen gibt es genug, alles wurde dokumentiert. Über den konzeptionellen Gimmick mit einem Fernseher in zeitgenössischer Kulisse, an dessen Look vom Pantoffelkino bis zum modernen Gerät sich der Fortgang der Zeit ablesen lässt, zeigen sie so auch eine Geschichte der Bundesrepublik selbst. Politiker wie Wolfgang Schäuble, Otto Schily und Joschka Fischer kommen zu Wort, erinnern sich an den Mann, den sie Kaiser nannten. Dazu äußern sich natürlich jede Menge Weggefährten: Sepp Maier und Paul Breitner in zünftiger Kulisse, Netzers Günter, Lothar Matthäus in einem Outfit, das ein wenig nach Kinder-Pyjama für die warme Jahreszeit aussieht, Matthias Sammer, Schriftsteller Albert Ostermaier, Harald Schmidt, Herbert Jung von der "Bild", Gunther Latsch vom "Spiegel" und natürlich auch die Ex-Partnerinnen, die Beckenbauer, das ergibt die Geschichte, einst im 11-Jahresrhythmus wechselte, Brigitte, Diana, Sybille, zudem sein Bruder Walter, der lange Zeit nur schwer an ihn herankommt, weil Robert Schwan, der Mann mit der Pfeife, die Geschicke seines Mandanten lenkt.
So oft man die Aufnahmen auch gesehen haben mag, die Faszination, die von ihnen ausgeht, ist so zeitlos wie eine Tütensuppe von Knorr: Der singende Franz, der kickende Kaiser, der sinnierende Coach, wie er kurz nach dem WM-Titel 1990 durch den Mittelkreis des Meazza-Stadions flaniert, Kohl in der Kabine, Merkel auf der Tribüne – alles ikonische Momentaufnahmen, für immer in historisches Bernstein gegossen, zeitlos im Licht funkelnd. Und am Ende doch überschattet von den Machenschaften rund um die Turniervergaben nach Deutschland und nach Katar.
Grüll und Nahr sparen auch dieses Kapitel nicht aus. Man hört das Seufzen der 'talking heads', der sprechenden Köpfe, die sich, das ist nicht zu übersehen, ein glücklicheres Ende dieses lange Zeit so schillernden Lebenswerks gewünscht hätten. Am Schluss bleibt das latent leere Gefühl wie nach einer verkorksten Verlängerung. Der Wunsch, die Dinge wären anders gelaufen, aber auch die Feststellung, der Weg vom "Hosianna" zum "Kreuzigt ihn", vom Heilsbringer zum schwarzen Schaf, sei wieder einmal überaus kurz gewesen. Es ist wohl auch das Wissen um den Ausgang der Geschichte, die selbst die Hochzeit, die imperiale Phase des Kaisers, von heute aus gesehen mit einer bittersüßen Note versieht, zudem aber auch eine ganz triviale Erkenntnis zutage fördert: 90 Minuten für einen wie den Franz? Ja gut, äh, des is’ fast a bisserl zu kurz.
Die ARD-Doku zu Franz Beckenbauer läuft am 8. Januar ab 20.15 Uhr in der ARD, wenige Stunden zuvor wurde der Tod der Fußballlegende bekannt.