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"Völlig überzogener Aufstand": So urteilt die Presse über die Bauernproteste

Stern 

Die deutschen Bauern haben am Montag mit ihrer bundesweiten Aktionswoche gegen die Kürzung von Agrarsubventionen begonnen. Sie zogen mit Treckern durch zahlreiche Städte und blockierten Autobahnauffahrten. Die Pressestimmen.

Lange Konvois von Traktoren und Lastwagen sind am Montag durch zahlreiche Städte gezogen, zig Autobahnauffahrten waren bundesweit zeitweise blockiert: Die Aktionswoche der Bauern gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung hat in Deutschland für Aufsehen gesorgt. Das sagt die Presse:

"Handelsblatt": "Die Bauern nehmen sich einen völlig überzogenen Aufstand heraus. Was sie ignorieren: Die deutsche Landwirtschaft ist hochsubventioniert, viel zu hoch. Und sie wird es bleiben, auch mit etwas weniger Dieselzuschuss. Den deutschen Bauern ist es gelungen, sich selbst als die altruistischen Landbewohner zu romantisieren. Sie sind aber Unternehmerinnen und Unternehmer, was man ihnen überhaupt nicht vorwerfen kann. Nur sollten sie auch genauso behandelt werden. Wer die Subventionspolitik in Deutschland und der EU betrachtet, erkennt aber, dass das nicht der Fall ist. Dass die Landwirtschaft eine Sonderbehandlung bekommt, die nicht nur teuer, sondern auch schädlich ist."

"Taz": Die aktuellen Bauernproteste sind unangemessen. Der durchschnittliche Hof verliert nur etwa 1.700 Euro pro Jahr, wenn die Bundesregierung den Rabatt bei der Energiesteuer auf Agrardiesel streicht. Bei zuletzt im Schnitt 115.000 Euro Gewinn der Haupterwerbsbetriebe steht fest: Diese kleine Einbuße wird keinen Hof in die Pleite treiben. Um so unverantwortlicher ist, dass Organisationen wie der Bauernverband nun die Wut vieler Landwirte auf die Ampelkoalition schüren. Die Agrarlobby hat aus einem vergleichsweise nichtigen Anlass - den 1.700 Euro jährlich - eine Protestwelle entfacht, die leicht ausufern kann. Rechtsextreme nutzen sie fleißig aus. An mehreren Orten wurden entsprechende Plakate gesichtet – in Wiesbaden zum Beispiel "Tötet Özdemir", in Berlin "Eure Demokratie ist unser Volkstod". Die Extremisten wollen aus dem Protest gegen Subventionskürzungen einen Kampf gegen die Ampel und die liberale Demokratie machen.STERN PAID Bauernproteste Stuttgart

"Kölner Stadt-Anzeiger": "Der Konflikt in beiden Branchen hätte vermieden oder schon gelöst werden können, wenn man denn im Gespräch geblieben wäre. Die Gewerkschaft der Lokomotivführer (GDL) hatte von Anfang an nichts anderes vor als Streik. Sie ging in die Tarifgespräche quasi ohne den Willen zur Verhandlung. Und die Ampel knallte den Landwirtinnen und Landwirten ohne Vorwarnung einen Doppelwumms mit Kürzungen der Agrarsubventionen sowohl beim Diesel als auch der Kfz-Steuer vor die Füße. Aber seither hat es viel Bewegung gegeben: Die Bahn bietet Zugeständnisse an und die Regierung hat die Kürzungen deutlich abgeschwächt. Nun müssen GDL und Landwirte nicht gleich "Hurra" schreien. Jedoch müssten sie sich überhaupt erst ernsthaft gesprächsbereit erklären. Das ist für eine Demokratie unerlässlich."

Bauern fühlen sich nicht ernstgenommen

"Nürnberger Zeitung": "Nachvollziehbar ist der Protest aber auch deshalb, weil sich in der Bauernschaft das Gefühl festgesetzt hat, in der großen Politik nicht mehr richtig ernst genommen zu werden und als subventionsgierige, dafür aber veränderungsunwillige Absahner zu gelten. Und was soll man auf den Bauernhöfen der Republik von der Kürzungspolitik einer Regierung halten, hinter der nicht einmal der zuständige Minister Cem Özdemir stand?"

"Mitteldeutsche Zeitung": "Ob beim Tierwohl, beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln oder der Ausbringung von Dünger: Die Gesellschaft, die Bürger, stellen vermehrt legitime Ansprüche an die Bauern. Die Politik – vor allem die Grünen – greift das auf. Konflikte mit den Landwirten sind daher unvermeidlich. Das war schon in der Amtszeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) so. Doch anstatt ein Konzept auszuarbeiten, wie die Landwirtschaft klimaschonend und nachhaltig umgebaut werden kann, liefert die Regierung nur Stückwerk. Auch wenn die Streichung der Dieselbeihilfe kaum einen Agrarbetrieb in Existenznot stürzen wird, ist der Unmut der Landwirte durchaus verständlich. Sie sollen ein Finanzloch stopfen, das sich die Regierung selbst eingebrockt hat."Stern PAID_24_02_Benedikt Bösel

"Reutlinger General-Anzeiger": "Die Ampelregierung hat mit ihrer plötzlichen Kürzung der Agrardiesel-Zuschüsse einen Fehler gemacht und ihn teilweise zurückgenommen. Doch wer glaubt, ein Rücktritt der Regierung würde die Situation der Landwirte verbessern, der macht eine Milchmädchenrechnung. Für eine wirkliche Verbesserung der Situation der Bauernhöfe müssten die Verbraucher bereit sein, mehr Geld für hochwertige heimische Lebensmittel auszugeben. Einfacher ist es allerdings, gegen "die da oben" zu protestieren."

"Schwäbische Zeitung": "Die Landwirte in Deutschland haben ihre Macht eindrucksvoll demonstriert. Keine Frage: Proteste sind in einer Demokratie erlaubt und in gewissem Umfang auch legitim. Wenn an Traktoren aber Galgen hängen, ein Minister bis ins Private bedrängt wird und man sich teilweise nicht ausreichend klar von Rechtsextremen abgrenzt, geht das über ein erträgliches Maß hinaus. Wirklicher Streit ist in einer Demokratie unverzichtbar, sie lebt aber auch vom Kompromiss. Das Prinzip funktioniert dann nicht mehr, wenn jede gesellschaftliche Gruppe ihre Macht rücksichtslos ausreizt und nur noch auf Maximalforderungen beharrt. Wenn gleichzeitig der gesellschaftliche Kitt bröckelt, trägt die Regierung eine Mitschuld. Die Ampel muss sich endlich zurücknehmen und auf das Wesentliche konzentrieren. Die Akteure aus Wirtschaft und Gesellschaft sollten sich aber ebenfalls sammeln und Vernunft walten lassen. Sonst droht uns eine Egorepublik Deutschland – zum Schaden aller."

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