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Paris: Übernachten im Büro statt auf der Straße: Unternehmen richten Schlafplätze für Obdachlose ein

Stern 

Eine Stiftung in Paris kümmert sich darum, dass weniger Obdachlose auf der Straße schlafen müssen. Sie überzeugt Unternehmen, Schlafplätze in ungenutzten Büros einzurichten.

Im Büro schlafen – das erweckt Bilder von überarbeiteten Managern und Leistungsdruck, aber für Tame in Paris heißt das: Raus aus der Obdachlosigkeit. Die Unterkunft des jungen Äthiopiers liegt mitten im touristischen Zentrum der Stadt, zwischen Besprechungsräumen, Schreibtischen und Kopierern. Vor ein paar Monaten schlief Tame noch auf der Straße, jetzt hat der politische Flüchtling ein Dach über dem Kopf: in einem Büroraum einer Stiftung in Paris.

Tame schläft im zweiten Stock, in einem sonst ungenutzten Raum von rund fünfzehn Quadratmetern. Die Mitarbeiter der Stiftung haben ihm ein Einzelbett und einen Schreibtisch für seinen Französischunterricht zur Verfügung gestellt. "In der ersten Nacht hatte ich Angst, aber jetzt bin ich froh, hier zu sein", sagt der junge Mann schüchtern lächelnd.

STERN PAID Obdachloser Erfahrungsbericht Protokoll André Hoek 11.15Seit 2021 haben wie Tame bereits 260 Wohnungslose eine vorübergehende Unterkunft in französischen Städten gefunden, vermittelt von dem 2021 gegründeten Verein Bureaux du Coeur. Der Name bedeutet "Büros des Herzens", in Anspielung darauf, dass die Räume für einen guten Zweck bereitgestellt werden.

Obdachlose gehen zum Schlafen in Büros

Mehr als hundert Unternehmen bieten inzwischen schon einen ihrer Räume an, in der Regel einen Besprechungsraum. Nach der Arbeitszeit können Menschen, die vorher auf der Straße gelebt haben, dort schlafen, oft sogar duschen und ihr Essen zubereiten.

"Als ich diese Idee im Gespräch mit meinen Kollegen erwähnte, kam von ihnen sofort ein großes Ja", freut sich Anna Jardin-Lévêque, Chefin des Unternehmens Handicall, einem Callcenter, das Menschen mit Behinderungen beschäftigt. Seit Juli nimmt sie an der Initiative teil.Haus gegen Obdachlosigkeit 16.21

Zwei junge Leute wurden nacheinander in einem ihrer Büros in Etampes in der Region Paris untergebracht. Der erste blieb dort fünf Monate während seiner Berufsausbildung. Nachdem er einen Job gefunden hatte, ließ er sein Klappbett im Sitzungssaal und zog in ein Heim für junge Arbeitnehmer.

Obdachlose müssen sich um Arbeit bemühen

Es ist eine Bedingung der Bureaux du Coeur, dass sich alle untergebrachten Obdachlosen um einen Arbeitsplatz bemühen. Die Aufnahmedauer ist auf sechs Monate begrenzt. Die Teilnehmer dürfen nicht suchtkrank sein oder an psychiatrischen Störungen leiden. Besucher sind in den Büros nicht erlaubt.

Stella 19.18Obwohl es sich bei den meisten teilnehmenden Unternehmen um kleine und mittlere Betriebe handelt, sind nicht alle gemeinnützig wie das Callcenter Handicall. "Wir haben zum Beispiel kürzlich mit einem großen Agrar- und Lebensmittelkonzern einen Vertrag abgeschlossen", sagt Juliette Baud, Ehrenamtliche von Bureaux du Coeur in Paris.

"In 90 Prozent der Fälle läuft es gut", versichert Baud. Unternehmenschefin Anna Jardin-Lévêque sieht das genauso: "Jemand in Not wird sich nicht selbst ins Bein schießen, indem er die Räumlichkeiten nicht respektiert."

Stiftung hilft Unternehmen bei Problemen

Nach Aussage von Juliette Baud wollen die Unternehmen vor allem wissen, was sie tun können, wenn es ein Problem mit den in ihren Büros untergebrachten Obdachlosen gibt. "Das kommt zwar selten vor, ist aber schon einmal passiert." In dem Fall sei die Aufnahme der betreffenden Person im Bürohaus abgebrochen worden.

Nur drei der 20 ehemaligen Obdachlosen, die derzeit in Paris untergebracht sind, sind Frauen, sagt Juliette Baud. "Sie sind sicherlich eine Minderheit, weil sie in dieser Altersgruppe oft unterhaltsberechtigte Kinder haben." Deshalb kämen sie für das Programm nicht in Frage.

Unternehmen, die der Initiative zur Eingliederung von Wohnungslosen teilnehmen wollen, müssen nur wenige Bedingungen erfüllen: Sie haben einen Raum übrig, in dem ein Bett aufgestellt werden kann, daneben ein Badezimmer und einen Raum mit Kühlschrank und Mikrowelle.

Auch die Versicherer mussten überzeugt werden, denn die üblichen Verträge sehen nicht vor, dass sich Menschen außerhalb der Arbeitszeit in den Büros aufhalten. "Als ich bei meinem Versicherer anrief, fand er das Projekt großartig und ich bekam innerhalb von zwölf Stunden eine Vereinbarung", erzählt Anna Jardin-Lévêque von Handicall.

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