Bildband: Daniel Kehlmann über Julian Schnabel: "So etwas ist in unserem Kulturverständnis nicht vorgesehen"
Seit rund 50 Jahren macht Julian Schnabel Kunst – mit seiner Malerei ist er berühmt geworden, für seine Filme wird er kein Deut weniger geschätzt. Ein neuer Bildband widmet sich ausschließlich seinem gemalten Werk, das abwechslungsreicher kaum sein könnte.
Julian Schnabel ist wohl eigentlich das, was man einen Tausendsassa nennt, er arbeitet in unterschiedlichen künstlerischen Bereichen, wird hoch geschätzt und ist sehr erfolgreich. Seinen Durchbruch erreichte er 1979 mit einer ersten New Yorker Einzelausstellung und seither steht sein Name für einen neuen Ansatz der Malerei in der zeitgenössischen Kunst. Er gilt als einer der Hauptvertreter des Neoexpressionismus und dessen amerikanischer Variante, dem New Image Painting. Neben Gemälden und Skulpturen hat Schnabel sich auch mit seinen Regiearbeiten einen weltweiten Ruf erworben, etwa durch seine Porträts über Künstler wie Basquiat und van Gogh. Doch diese Arbeiten werden in dem neuen Bildband lediglich in den Texten gewürdigt, die Laurie Anderson (Performance-Künstlerin, Musikerin und Filmregisseurin), Éric de Chassey (Kunsthistoriker und Autor), Bonnie Clearwater (Autorin und Kunsthistorikerin), Donatien Grau (Head of Contemporary Programs am Louvre, Autor und Herausgeber), Max Hollein (Direktor und Chief Executive Officer des Metropolitan Museum of Art in New York City) und Daniel Kehlmann (deutsch-österreichischer Schriftsteller) verfasst haben.
Was Laurie Anderson sagt
Laurie Anderson und Lou Reed wurden in New York City zufällig Nachbarn von Julian Schnabel. Dieser hatte just mit der Gestaltung einer ehemaligen Parfümfabrik, die er in einen venezianischen Palast namens Palazzo Chupi umbauen lassen hatte, in seinem Quartier, dem West Village, überzeugt und begeistert. Laurie Anderson und Lou Reed lernten Schnabel nicht nur sehr gut kennen, sondern auch lieben, was auf Gegenseitigkeit beruhte. Kein Wunder, dass der Taschen Verlag Laurie Anderson gebeten hat, eine der sechs Elogen auf den Künstler zu verfassen und für den neuen, fast 600-seitigen Band "Julian Schnabel" einige Erinnerungen aufzuschreiben. Schnabel hat dem Paar nicht nur geholfen, in den leerstehenden Räumen eines ehemaligen Frauengefängnisses mit viel Hingabe eine wohnliche Atmosphäre zu schaffen. Er ließ sie auch an seiner Kunst teilhaben, indem er sie oft einlud, sich seine neuen Bilder anzuschauen. Oder sogar in der Entstehungszeit dabei zu sein. In ihrer Anwesenheit malte er Bilder, übermalte sie wieder, begann erneut, änderte – und das alles mit gezieltem Blick und in hohem Tempo, wie Laurie Anderson schildert. Schnabels liebevoller Umgang mit seiner Mutter und später auch mit dem kranken Loud Reed vor dessen Tod, rühren sie nachhaltig.
Julian Schnabel kam am 26. Oktober 1951 zur Welt, 1965 zog die Familie nach Texas. Nach einem Studium in Houston nahm Schnabel 1973 und 1974 am Independent Study Program des Whitney Museums in New York teil. Anschließend folgten längere Aufenthalte in Europa. Aus zwei Ehen Schnabels und seiner Beziehung hat er sechs Kinder. Schnabel besitzt Häuser in New York, Montauk und Spanien. Sein Sohn Vito Schnabel, in Deutschland den meisten wohl durch seine dreijährige Beziehung mit Heidi Klum bekannt, ist Kunsthändler.
Daniel Kehlmann äußert sich zu Schnabels Regiearbeiten
Eine weitere Huldigung auf Julian Schnabel verfasste Daniel Kehlmann, der mit ihm gemeinsam an einem Drehbuch gearbeitet hat. Kehlmann widmet sich Schnabels Arbeit als Regisseur, der er höchsten Respekt zollt. "Der Umstand, dass Julian Schnabel einer der großen Filmregisseure unserer Zeit ist, ist eigentlich skandalös. Es gibt kaum etwas Vergleichbares. Man muss sich nur vorstellen, Francis Bacon hätte plötzlich begonnen, erstklassige Opern zu schreiben, Karlheinz Stockhausen hätte auch die Romane von Günter Grass verfasst, oder Dostojewski hätte meisterhafte Gemälde hinterlassen. Der Gedanke ist beinahe komisch, denn so etwas ist in unserem Kulturverständnis nicht vorgesehen. Man muss wohl bis in die Renaissance zurückgehen, um Beispiele für solch ungehörige, schamlose Vielseitigkeit zu finden", beginnt Kehlmann die Arbeiten von Schnabel zu rühmen. Seine Faszination, wie akribisch und fokussiert Schnabel bei seiner Arbeit am Drehbuch vorgeht, wirkt ansteckend.
Diesem Buch gelingt es, seine Leser:innen zu animieren, sich auf die Malerei Julian Schnabels einzulassen. Auf die verschiedenen Phasen, die manchmal sehr kryptischen Titel sowie auf seine Auseinandersetzung mit unterschiedlichsten Themen. Wer vor der Lektüre kein Schnabel-Fan war, kann nicht anders: Er wird einer. Seine riesigen Formate, die manche abschätzig Gigantismus nennen, seine Neugier und seine Lust, mit allen Arten von Materialien zu experimentieren, inspirieren.
Dieser Bildband ist im Januar 2021 in einer signierten Edition erschienen, natürlich entsprechend teurer (750 Euro).