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Hinter der Geschichte: Wie ich versuchte herauszufinden, was hinter der Fassade des Tesla-Werks in Brandenburg vor sich ging

Stern 
Hinter der Geschichte: Wie ich versuchte herauszufinden, was hinter der Fassade des Tesla-Werks in Brandenburg vor sich ging

Zusammen mit Kollegen recherchierte stern-Autorin Tina Kaiser mehr als zehn Monate die katastrophalen Zustände in Elon Musks deutscher Fabrik. Ein Termin ist ihr als besonders entlarvend in Erinnerung geblieben.

Making-of heißt unser neues Format. Wir wollen Ihnen einen persönlichen Blick hinter die Kulissen ermöglichen, aus unserem journalistischen Alltag erzählen und von unseren Recherchen. Wir beginnen mit einer kleinen Serie, in der wir auf unsere Momente des Jahres 2023 zurückblicken.

Stellen Sie sich vor, Sie wollen herausfinden, was hinter den Mauern einer Fabrik passiert und fast jeder, der es Ihnen erzählen könnte, scheint Angst zu haben. Da sind Beschäftigte, die nicht nur um ihre Jobs bangen, sondern denen wegen drakonischer Verschwiegenheitsklauseln in ihren Arbeitsverträgen sogar die Privatinsolvenz droht. Da sind Behördenmitarbeiter, die Angst haben, ins Kellerarchiv versetzt zu werden, wenn sie ihre Sorgen über die Geschehnisse in der Fabrik mit Journalisten teilen. Und sogar Gewerkschafter fürchten sich, die Probleme offen anzusprechen. Einer von ihnen wird im Laufe der Recherche sagen: Bei normalen Konzernen könne man sich darauf verlassen, dass die Arbeitsplätze erstmal sicher seien, wenn eine Fabrik frisch gebaut und Milliarden investiert seien. Aber man habe es hier nicht mit einem rationalen Gegner zu tun. "Wenn der sich ärgert, wer weiß, dann macht der einfach das Werk dicht und wir sitzen hier mit einer Industrieruine und 11.000 Arbeitslosen."

Die Rede ist von Elon Musk, dem reichsten Mann der Welt, und seiner ersten europäischen Tesla-"Gigafactory" vor den Toren Berlins, im brandenburgischen Grünheide. Bei der Eröffnungsparty im März 2022 bezeichnete Musk die E-Autofabrik als "Juwel für die Region". Doch einige Monate später bekam der stern Hinweise, zu welchem Preis hinter der Fassade von Tesla E-Autos produziert werden. 

Tesla-Werk in Grünheide: Gefahr für Mitarbeiter, Umwelt und Anwohner

Zusammen mit einem großen Team von weiteren Investigativreporterinnen und -reportern recherchierte ich mehr als zehn Monate, was in Grünheide vor sich ging. Am Ende konnten wir nachweisen, was für eine Gefahr das Werk für Mitarbeiter, Anwohner und die Umwelt ist. Warum das so lange dauerte, hat viel mit dem Kartell des Schweigens zu tun, das Tesla errichtet hat. Denn der Milliardenkonzern hat eine Vorschrift, die Mitarbeitern bereits am ersten Tag eingebläut wird: Mit der Presse redet bei Tesla niemand. Außer Elon Musk.

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Umso spannender war es, als die Zero-Transparenz-Politik von Tesla im vergangenen Sommer mit dem deutschen Verwaltungsrecht kollidierte. Denn der US-Autobauer will seine Produktionskapazität in Grünheide auf eine Million Fahrzeuge jährlich verdoppeln und dafür das E-Autowerk ausbauen, also noch mehr Industrie in einem Trinkwasserschutzgebiet. Um eine dafür nötige umweltrechtliche Genehmigung zu bekommen, muss der Konzern die Öffentlichkeit informieren und Bürgern wie Journalisten Fragen beantworten. 

Tesla will 81.200 Pfähle ins Trinkwasserschutzgebiet rammen

Doch schon das Timing der "Informationsveranstaltung" ließ vermuten, dass Tesla nicht wirklich Interesse an allzu vielen Fragen hatte. Denn zum Bürgerdialog lud der Autobauer für den 18. Juli 2023 ein. Nur fünf Tage zuvor hatten in Brandenburg die Sommerferien begonnen. Viele Bürger konnten also schlicht nicht teilnehmen – weil sie in Urlaub waren. Die eigentlichen Ausbaupläne veröffentlichte Tesla dagegen erst am Tag danach, am 19. Juli. Niemand hatte also vor der Veranstaltung die Chance, sich einzulesen und mögliche Aufregerthemen zu entdecken. Wie zum Beispiel die Tatsache, dass Tesla allen Ernstes plant, 81.200 Betonpfähle in den Boden des Trinkwasserschutzgebiets unter der Fabrik zu rammen.

Doch davon weiß an jenem heißen Ferientag keiner der über hundert Bürger, die am 18. Juli zusammen mit mir zur Müggelspreehalle gekommen sind, einer Mehrzweckhalle rund zehn Kilometer von der Tesla-Fabrik entfernt. Wir müssen feststellen, dass die Veranstaltung nicht in der Halle stattfindet und dass auch niemand von Tesla auf einer Bühne sitzt, den etwa die gut informierten Vertreter der Umweltverbände vor Publikum mit kritischen Fragen löchern können. Denn das hätte ja unangenehm werden können.

Stattdessen hat Tesla draußen vor der Halle ein sehr üppiges und appetitliches Kuchenbuffet aufgebaut. Und rechts und links davon kleine Stände mit jeweils einem schwarz gekleideten Tesla-Mitarbeiter vor Themenschildern: von Gewässerschutz über Immissionsschutz, Gefahrensicherung, Infrastruktur bis Baurecht und Arbeitsschutz.

Donuts im Schriftzug "Tesla"
Donuts im Schriftzug "Tesla" bei der Informationsveranstaltung des US-Elektroautobauers
© Jens Kalaene

Die Tesla-Mitarbeiterin winkt ab: Wisse sie nicht, sorry

Ich versuche mein Glück zunächst beim Stand "Gefahrensicherung", die sehr freundliche Dame dort drückt mir sogleich ein Tablet in die Hand und schlägt mir vor, ich könne mir eine Präsentation zu den Ausbauplänen ansehen. Als ich dazu Fragen stellen will, winkte sie ab: Wisse sie alles nicht, sorry. 

Zweiter Versuch am "Infrastruktur"-Stand nebenan, der Tesla-Mitarbeiter dort lächelt gewinnend und sagt, er sei für mich da. Ich spreche ihn auf den Brief an, den Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke im März 2023 an Elon Musk geschrieben hat. Dort versicherte Woidke dem Tesla-Chef, ihm seien Teslas Probleme mit der Wasser- und der Energieversorgung in Grünheide bekannt. Er wolle den Konzern bei der Lösung unterstützen. Ich sage dem Tesla-Mitarbeiter, dass über den Wassermangel in der Region ja ohnehin umfänglich berichtet worden sei, aber welche Probleme es denn bei Strom und Gas gäbe? Der Mann sagt: gar keine. Tesla habe keine Engpässe bei der Energieversorgung. Wieso Woidke das behauptet habe? Wisse er nicht, sagt der Tesla-Mitarbeiter. Am nächsten Tag kann man dann in den Antragsunterlagen lesen, dass Tesla ein Gaskraftwerk und ein LNG-Terminal bauen will. 

Potemkinsches Dorf mit Informationsfassaden

So geht es weiter, offenbar sind wir nicht auf einer Informationsveranstaltung, sondern in einem Potemkinschen Dorf mit Informationsfassaden. Am Stand für "Arbeitsschutz" wird mir von einer Tesla-Frau erklärt, dass der Arbeitsschutzbeauftragte von Tesla leider keine Zeit hatte, heute dabei zu sein. Unser Rechercheteam hat zu diesem Zeitpunkt längst herausgefunden, dass es im Tesla-Werk fast täglich zu Unfällen kommt, dabei schwere und schwerste. Es geht um Verbrennungen, Verätzungen, gebrochene und amputierte Gliedmaßen und um krebserregenden Staub in der Luft. Aber die Frau sagt, schwere Unfälle seien ihr keine bekannt. 

Während ich von Stand zu Stand schlendere, fällt mir ein sehr großer, junger Mann in Tesla-Kleidung auf, der über die Köpfe der Besucher immer wieder zu mir hinüberschaut. Dann kommt er schließlich auf mich zu. Ich sei doch sicher Journalistin, oder? Er stellt sich mit seinem Namen vor, den ich aber nicht veröffentlichen dürfe. Später finde ich heraus, dass er im internen Tesla-System als "Communication Specialist" verzeichnet ist. Seine Spezialität ist offenbar, mir und den anderen Journalisten vor Ort unmissverständlich zu erklären, dass wir keinen der anwesenden Tesla-Mitarbeiter wörtlich zitieren dürfen. Anweisung von Elon Musk, sorry. Das finde ich jetzt fast ein bisschen witzig. Weil: Was sollte ich denn auch zitieren wollen von all diesen Nichtgesprächen?

Zwei Bürger bei Tesla-Informationsveranstaltung
Nur fünf Tage vor der Tesla-Informationsveranstaltung hatten in Brandenburg die Sommerferien begonnen
© Jens Kalaene

Doch es ist nicht lustig, das finden wir in unseren monatelangen Recherchen heraus. Demnach ist es teilweise lebensgefährlich, in der Tesla-Fabrik zu arbeiten. Zu den schweren Unfällen kommt ein teils nachlässiger Umgang mit Giftstoffen, mit Ölen und Diesel, die im Erdreich eines Trinkwasserschutzgebietes unter der Fabrik versickern. Experten sagen uns, dass die Trinkwasserversorgung der gesamten Region auf Jahrzehnte hinaus gefährdet ist. Und Tesla, das wird mir an jenem Tag vor der Müggelspreehalle klar, scheint die Ängste der Menschen in der Umgebung nicht ernst zu nehmen.

Tesla Umweltunfälle 11.00

"Das sind doch alles Lügen"

Viele Bürgerinnen und Bürger macht die vermeintliche "Informationsveranstaltung" offenbar ähnlich ratlos wie mich. Einige schieben sich noch einen "Tesla"-Donut in den Mund und gehen. Andere beschimpfen die Tesla-Mitarbeiter. Eine Anwohnerin fängt am "Gewässerschutz"-Stand schließlich an zu weinen und presst mit brüchiger Stimme heraus: "Das sind doch alles Lügen, die Sie uns erzählen." Später sagt sie noch, sie habe kaum noch Hoffnung, dass ihre Kinder in der Region groß werden könnten.

Um Tesla geht es auch in der ersten Ausgabe von "stern Investigativ.", die Sie auf dem Streamingportal RTL+ sehen können. Auch der serielle "stern Investigativ."-Podcast "Inside Tesla" beschäftigt sich mit dem E-Auto-Konzern in Grünheide: 

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Hinweis der Redaktion: Der stern ist Teil von RTL Deutschland.

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