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Fachkräftemangel: Steinmeier und Heil in Vietnam: Wer möchte bitte, bitte, bitte nach Deutschland kommen?

Stern 
Fachkräftemangel: Steinmeier und Heil in Vietnam: Wer möchte bitte, bitte, bitte nach Deutschland kommen?

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Arbeitsminister Hubertus Heil reisen durch Vietnam. Vordergründig geht es um die Anwerbung von Fachkräften. Im Hintergrund spielen geopolitsche Überlegungen eine Rolle.

"Möchten Sie sich aufsetzen oder soll ich das Kopfteil aufstellen?“, fragt eine junge Vietnamesin ihren Mitschüler, der, im Bett liegend, einen Patienten simulieren soll. Ihre Lehrerin bittet sie, das Wort "Kopfteil“ zu wiederholen. Kein einfaches Wort, wenn man erst seit einem Jahr Deutsch lernt.

Bald soll Trang nicht mehr Mitschüler fragen, wie sie am liebsten liegen, sondern Senioren im fernen Frankfurt. Im Goethe-Institut Hanoi lernt sie nun noch Fachsprache, um in Deutschland als Pflegerin zu arbeiten. Im Lehrraum steht ein Krankenbett, daneben ein Korpus mit herausnehmbaren Organen. Und dann steht da noch Frank-Walter Steinmeier, einem Chefarzt nicht ganz unähnlich.

Der Bundespräsident ist gekommen, an seiner Seite hat er den deutschen Arbeitsminister Hubertus Heil. Die Gesandten aus Germany wollen ergründen, ob sie nicht ein paar der vietnamesischen Fachkräfte anwerben, ja sie vielleicht sogar explizit für den deutschen Markt ausbilden können. 

Um die Welt auf der Suche nach Arbeitskräften

Man muss sagen: Mal wieder geht es darum. Und mal wieder eigentlich auch nicht. Im vergangenen Jahr war der Arbeitsminister erstaunlich viel unterwegs, jedenfalls gemessen an seiner Position, die ihn eigentlich daheim verortet. Heil suchte in Brasilien nach Pflegekräften, eröffnete in Ghana ein Migrationszentrum und ließ sich von den Kanadiern erklären, wie man denn nun eine freundliche Einwanderungsgesellschaft wird.  

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Der Arbeitskräftemangel ist eines der größten Probleme, vor denen die deutsche Wirtschaft steht. Selbst wenn geopolitisch alles in bester Ordnung wäre, Energie billig und die Inflation im Griff, gäbe es zu wenige Menschen, die in Deutschland Arbeit erledigen. Zwar lässt sich das ein Stück weit verbessern, indem man mehr Frauen in Vollzeitstellen bringt, weniger Jugendliche ohne Ausbildung stehen lässt und Rentner dazu bringt, noch ein bisschen länger zu arbeiten. Aber selbst dann fehlen viele Tatkräftige. 

Also reist Heil um die Welt und wirbt für die Bundesrepublik. In Vietnam profitiert er von einer gewissen Affinität der Vietnamesen für Deutschland, was vor allem darauf zurückgeht, dass viele Verwandte und Bekannte dort haben. Als Vertragsarbeiter kamen in den 1980ern etliche in die damalige DDR, etwa 16.000 blieben auch nach dem Mauerfall. Die sogenannten Boatpeople, also jene, die vor dem Kommunismus flohen, strömten in etwa zur gleichen Zeit in die Bundesrepublik. Laut Statistischen Bundesamt lebten 2022 gut 200.000 Menschen mit vietnamesischer Migrationsgeschichte in Deutschland. Wenn Hubertus Heil also in Vietnam fragt, wieso sich die Auszubildenden denn Deutschland vorstellen könnten, sagen fast alle, dass sie dort Familie oder Freunde haben. 

Und im nächsten Schritt erzählen sie dann von den Hürden, vor die Deutschland seine Einwanderer stellt: langwierige Visa-Verfahren, komplizierte Sprache, kaum Chancen auf Anerkennung der beruflichen Qualifikation aus dem Heimatland. Nachdenklicher Heil. Weiß er natürlich alles, hat er schon oft gehört. 

Im Goethe-Institut kann man mit Tran Thi Tuyet Nhu sprechen. Sie hat an einem Programm teilgenommen, bei dem 50 Vietnamesinnen und Vietnamesen zu Zerspannungsmechanikern ausgebildet wurden. Die Hälfte von ihnen für vietnamesische Unternehmen, die andere Hälfte für deutsche. Im August feierte sie ihren Abschluss, hat inzwischen sogar einen Arbeitsvertrag. Auf ihr Visum wartet sie aber bis heute. 

Wieso ausgrechnet Vietnam?

Fachkräfte, das ist also der eine, der offensichtliche Grund, warum die deutsche Delegation nach Vietnam gereist ist. Der andere schwingt im Subton mit, so wie das auch schon bei den Besuchen in Ghana, Kanada und Brasilien der Fall war: Deutschland versucht, sich unabhängiger von Russland und China zu machen. Dafür reist die aktuelle Bundesregierung so viel wie kaum eine zuvor. Und auch einem Arbeitsminister bleibt der Fernflieger nicht erspart. Wenn er dabei aber wenigstens den Bundespräsidenten begleiten darf, nagut, umso besser.

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Vietnam ist gleichwohl als Partner weniger einfach als Kanada. Das kommunistische Land kennt nur eine Partei, Zivilgesellschaft und Meinungsfreiheit werden unterdrückt. Trotzdem will Deutschland Präsenz zeigen, Bundeskanzler Olaf Scholz war im November schon im Land. Man darf nicht allzu wählerisch sein, die perfekten Partner gibt es nicht, das wissen sie in der Ampel. 

Deutschland versucht, sich breiter aufstellen und Ländern wie Vietnam als Alternative zu China oder Russland zu präsentieren. Das bietet sich zum einen schon wegen der Migrationsgeschichten an, aber eben auch, weil die Wirtschaften längst eng verwoben sind. Laut Auswärtigem Amt betrug das Handelsvolumen zwischen beiden Ländern 2022 rund 18 Milliarden Euro.

Ja, es ist kompliziert.

Und noch komplizierter wird es dann am Mittwoch, wenn Steinmeier weiter nach Thailand fliegt, wo das politische Regime unweit autoritärer herrscht. Dort wird der Bundespräsident nach allem, was man weiß, dann aber auch keine Arbeitskräfte suchen.

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