Kirche: Evangelische Kirche stellt Missbrauchsstudie vor
Die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in der evangelischen Kirche läuft schleppend, sagen Kritiker. Mit Spannung wird darum die erste große Studie dazu erwartet - auch in der bayerischen Landeskirche.
Seit Jahren ist die katholische Kirche mit der Aufarbeitung des umfassenden sexuellen Missbrauchs beschäftigt - nun will auch die evangelische Kirche eine mit Spannung erwartete Studie vorstellen.
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) präsentiert in Hannover die Ergebnisse der sogenannten ForuM-Studie, die sie 2020 in Auftrag gegeben hatte, um sexualisierte Gewalt und andere Missbrauchsformen unabhängig untersuchen zu lassen.
Wie wichtig das Thema auch in der bayerischen Landeskirche ist, zeigt sich allein schon in der Zahl der Pressemitteilungen, die das Landeskirchenamt in den Tagen vor der Studie herausgegeben hat. Beinahe jeden Tag gab es eine dazu.
Dabei wurden auch erste Zahlen bekannt gegeben: Die evangelische Landeskirche in Bayern (ELKB) hat für die Studie 129 Beschuldigte und 226 Taten an die zuständigen Forscher gemeldet, wie Landesbischof Christian Kopp mitteilte. Die Zahlen gehen demnach aus entsprechenden Kirchenakten hervor.
Unter den Beschuldigten sind den Angaben zufolge "56 Pfarrpersonen". Bei den anderen handle es sich um Erzieher, ehrenamtliche Jugendleiter und Kirchenmusiker.
In einigen Akten seien Hinweise zu mutmaßlichen weiteren Taten aufgetaucht, zu denen keine weiteren Informationen wie die Namen der betroffenen Personen oder der Tathergang auffindbar waren. "Wenn diese mutmaßlichen Taten dazugerechnet werden, muss von 253 Taten ausgegangen werden", teilte die Landeskirche mit.
Die Zahlen beziehen sich auf einen Zeitraum von mehr als 100 Jahren, auf die Zeit zwischen 1917 und 2020. Doch auch in jüngerer Zeit habe es Meldungen über Fälle sexueller Gewalt gegeben, wie Kopp mitteilte: In den vergangenen drei Jahren gingen 95 solcher Meldungen ein. 2021 gab es demnach 24 Meldungen, 2022 waren es 39 und im vergangenen Jahr 32.
Die katholische Kirche kämpft schon seit Jahren mit dem Skandal um massenhaften sexuellen Missbrauch - da gingen die Fälle in der evangelischen Kirche lange beinahe unter.
"Die evangelische Kirche hinkt weit hinter der Aufarbeitung von Missbrauch in der katholischen Kirche hinterher", kritisiert der Kirchenrechtler Thomas Schüller von der Universität Münster. Lange habe der Irrglaube geherrscht, dass sexueller Missbrauch in der evangelischen Kirche seltener vorkomme, weil Risikofaktoren wie bei den Katholiken wie das Zölibat und eine überkommene Sexualmoral nicht vorlägen.
"Es schmerzt mich zutiefst, dass Menschen im Raum der bayerischen Landeskirche und Diakonie unter sexualisierter Gewalt gelitten haben und immer noch leiden", sagte Kopp. "Wir brauchen keine Toleranz für Täter und möglichst viel Transparenz für die betroffenen Personen."
Die Landeskirche hat seit 2015 rund 1,5 Millionen Euro an Unterstützung für die Opfer sexualisierter Gewalt in der Kirche ausgezahlt. Das Geld soll "die noch andauernden Folgen der erlittenen sexualisierten Gewalt zumindest mildern und die Anerkennung des Unrechts zum Ausdruck bringen", wie es in einer der Mitteilungen der Landeskirche aus den vergangenen Tagen heißt.
75 Einzelfälle seien von der seit 2015 arbeitenden Anerkennungskommission behandelt worden. Seit 2022 liegt der Rahmen der auszuzahlenden Summen zwischen 5000 und 50.000 Euro. Er orientiert sich an der Rechtssprechung deutscher Gerichte.