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Wiederholungswahl in Berlin: Angela Hohmann könnte in den Bundestag einziehen, aber eigentlich will sie nicht

Stern 
Wiederholungswahl in Berlin: Angela Hohmann könnte in den Bundestag einziehen, aber eigentlich will sie nicht

In Berlin ist am Sonntag wieder Bundestagswahl – und vieles möglich. Auch für SPD-Politikerin Angela Hohmann, die ein Mandat gewinnen könnte. Ein Grund zur Freude? "Nicht wirklich", sagt sie.

Einmal Mitglied des Deutschen Bundestags sein, vom Souverän an die Werkbank der Macht entsandt: Auf dieses hehre Ziel wurden schon ganze politische Leben ausgerichtet. Angela Hohmann, 60, habe dieses Ziel nie gehabt: Bundestagsabgeordnete. Dass sie es trotzdem werden könnte, sei ihr zwar bewusst gewesen. Aber Hohmann habe sich immer wieder gesagt: Wird schon nicht passieren. Tja, dit is‘ Berlin, die Hauptstadt macht‘s möglich. Heute könnte es passieren.

Es wird wieder gewählt. Die Umstände sind ungewöhnlich, wie so vieles an dieser Bundestagswahl. Ja, wirklich: An diesem Sonntag sind rund 550.000 Berlinerinnen und Berliner aufgerufen, ihre zwei Stimmen für den Bundestag abzugeben. Die Hauptstadt holt in Teilen nach, was bei der regulären Wahl 2021 nur in Teilen funktioniert hat.

Angela Hohmann bietet das eine Chance, die sie damals verpasst hat. Je nach Ausgang könnte die Niedersächsin, bislang SPD-Fraktionschefin im Kreistag von Celle, doch noch in den Bundestag kommen. Mitten in der Legislaturperiode, eine einmalige Gelegenheit. Aber nicht für Hohmann.

"Eigentlich will ich nicht in den Bundestag", sagt sie. Natürlich hoffe sie auf ein weiteres Mandat für Niedersachsen. Das Problem: Eine andere Genossin würde dafür ihres verlieren. "Ich bin da zwiegespalten." 

Die Wahlwiederholung hat viele kuriose Folgen, Hohmanns Dilemma ist eine davon. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat die Karten neu gemischt. Weil es am Wahlsonntag vor zweieinhalb Jahren an vielem fehlte, nur nicht an erheblichen Störungen im Betriebsablauf, müssen einige Berliner jetzt nochmal ran. 

Berlin am Limit

Damals, am 26. September 2021, ist in der Hauptstadt einiges zusammengekommen. Bundestagswahl. Abgeordnetenhauswahl. Bezirkswahlen. Ein Volksentscheid. Alles an einem Tag. Ach, Marathon war auch noch – und Berlin am Limit. In zahlreichen Wahllokalen fehlten Stimmzettel, der Nachschub gelangte nicht rechtzeitig durch die lahmgelegte Stadt, mancherorts wurde bis weit nach 18 Uhr Schlange gestanden und erst gewählt, als schon die ersten Prognosen vorlagen. Ziemlich chaotisch alles. 

Und in den Augen der Karlsruher Richter: nicht zulässig. In 455 Bezirken, dort, wo besonders großes Durcheinander herrschte, wird die Bundestagswahl nun wiederholt. Fast wirkt es, als wolle man die Berliner nicht vergessen lassen, wie Wahlen vonstatten gehen: Die Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl liegt fast auf den Tag genau ein Jahr zurück. 

Jetzt darf jeder fünfte Wahlberechtigte in Berlin also noch mal an die Urne. An der Zusammensetzung des Bundestags wird das zwar nichts ändern. Dafür geht es, auf den gesamten Bund gerechnet, um zu wenige Stimmen. Aber es sind immer noch genug, um die ein oder andere Abgeordnetenlaufbahn vorzeitig zu beenden. So könnte die Grünen-Landesvorsitzende Nina Stahr ihr Mandat verlieren, ebenso Generalsekretärin Ottilie Klein von der Berliner CDU.

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Und damit zurück zu SPD-Politikerin Angela Hohmann, die nun am Anfang ihrer Abgeordnetenlaufbahn stehen könnte. Darauf angelegt hat sie es nicht, das zeigt auch ihre Vita. Seit 2002 engagiert sich die gelernte Sozialversichungsfachangestellte in der Kommunalpolitik, ob im Ortsverein oder Kreistag, aber stets mit sozialpolitischem Schwerpunkt. Vergangenen Dezember wurde sie vom SPD-Bezirk Hannover für einen Posten im Bundesvorstand vorgeschlagen, mit der Begründung: Es sei wichtig, dass dort eine Person mit kommunalpolitischer Erfahrung sitze. Hohmann wurde gewählt und gab als ihr selbsterklärtes Ziel aus, eine "Stimme des Ehrenamts und der Kommunalpolitik" sein zu wollen. 

Schon klar: Berlin ist weiter weg von den Leuten, jedenfalls nicht mehr so nah dran. Aber im Politgroßbetrieb hätte Hohmanns Stimme mehr Gewicht. Kein Grund zur Freude? "Nicht wirklich", antwortet sie. "Ich glaube, die Situation ist nicht schön für sie." Gemeint ist Genossin Ana-Maria Trăsnea, 29, die nun um ihren Sitz im Bundestag bangen muss. 

Denn durch die annullierten Wahlbezirke hat die SPD ein Mandat verloren. Bisher gehörte es Ana-Maria Trăsnea vom Berliner Landesverband. Ob sie es zurückgewinnen kann, oder der Sitz an Hohmann aus Niedersachsen geht, hängt an jeder Stimme. Im Fall einer Wahlschlappe könnte die SPD das Bundestagsmandat aber auch komplett verlieren. Ein kleiner Wahl-Krimi – und ein ziemlich komplizierter dazu.

Vereinfacht gesagt, entscheidet die absolute Anzahl an Zweitstimmen darüber, welcher Landesverband zum Zug kommt. Für Trăsnea (Berlin) und Hohmann (Niedersachen) ist somit entscheidend, in welchem Stimmen-Korridor die SPD landet. Weil der Bundestag größer ist als die regulären 598 Sitze, entscheiden die Zweitstimmen nun nur über die Verteilung von Ausgleichsmandaten. Deswegen lassen sich die besagten Korridore recht genau beziffern. 

Schon verwirrt? Das sind nur die Basics.

Bei der Bundestagswahl 2021 hat die SPD in den Bezirken, die jetzt erneut wählen müssen, insgesamt 94.444 Stimmen bekommen. Sollte die SPD diesmal zwischen 37.000 und 48.000 Stimmen erhalten, grob gerundet, würde das Mandat nach Niedersachsen gehen. Also an Hohmann, die auf ihrer Landesliste die erste Nachrückerin ist. Bekommt die SPD mehr als 48.000 Stimmen, liegt der Sitzanspruch wieder bei der Berliner Landesliste: Trăsnea hätte ihr Mandat zurück.

Noch nicht kompliziert genug? Kein Problem. 

Für den unwahrscheinlichen Fall, dass die SPD den aktuellen Umfragen trotzt, kräftig zulegt und zwischen 95.000 und 106.000 Stimmen einheimst, wäre wieder Hohmann aus Niedersachsen dran. Dann hätte Trăsnea praktisch keine Chance mehr. Warum? Aufgepasst, kein Scherz: Sollte die SPD einen spektakulären Stimmenzuwachs verbuchen und die Wählervoten auf mehr als 106.000 anwachsen, dann wären zwar wieder die Berliner am Zug. Aber profitieren würde nicht Trăsnea sondern ihr Kollege Torsten Einstmann. 

Ja, es ist wirklich kompliziert. 

"Persönlich drücke ich Frau Trăsnea die Daumen, dass sie ihr Bundestagsmandat behalten kann", sagt Hohmann. Sie kenne die Genossin aus Berlin zwar nicht, hätte auch nicht mit ihr gesprochen. "Trotzdem täte es mir leid", sagt Hohmann. Trăsnea habe sich zwei Jahre lang eingearbeitet.

Und was, wenn…?

Hohmann konnte das Szenario kommen sehen, wenn auch schleichend. Durch mehrere Personalwechsel in der Berliner Bundestagsfraktion habe die Landesliste in Niedersachsen immer weiter gegriffen, erklärt Hohmann, damit sei auch ihr Listenplatz immer näher gerückt. Doch erst das Urteil des Verfassungsgerichts habe dafür gesorgt, dass sie ernsthaft mit der Möglichkeit des Mandats rechnen musste. 

Es ist nur eine von vielen Eigenheiten, die der Berliner Wahlsonntag aufzubieten hat. Eine Auswahl, ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Wer gerade erst 18 geworden ist, darf abstimmen – auch wenn er oder sie 2021 noch gar nicht wahlberechtigt war. Nicht wählen darf hingegen, wer mittlerweile aus Berlin wegzogen ist, damals aber noch (und nunmehr ungültig) abgestimmt hat. 

Stahr-Interview

Auch die Wahlzettel muten kurios an. Denn anders als die Wahlberechtigten müssen die wählbaren Personen dieselben wie 2021 sein. Das kann beispielsweise bedeuten: Wer inzwischen aus einer Partei ausgetreten ist, tritt ausweislich des Wahlzettels trotzdem wieder für sie an. Oder, ein recht(s) extremes Beispiel: Auf Platz fünf der AfD-Landesliste steht eine Frau, die mittlerweile wegen Terrorverdacht in U-Haft sitzt. 

All das sorgt nicht zuletzt bei den Berlinnerinnen und Berlinern für Kopfschütteln. Es wird mit einer geringen Wahlbeteiligung gerechnet. Dennoch: Wahl ist Wahl, dazu die erste in diesem Superwahl. Sie dürfte damit auch ein erster, wenn auch kleiner Stimmungstest für die Bundespolitik sein – mit Konsequenzen für den Kanzler und seine Ampel-Koalition.

SPD-Politikerin Hohmann aus Niedersachsen wird die Wahl genau verfolgen. Trotz ihres persönlichen Dilemmas würde sie das Mandat "auf jeden Fall" annehmen, sagt sie. Diese Verantwortung habe sie gegenüber ihrem SPD-Landesverband, aber auch gegenüber den Menschen in der Bundesrepublik. Ein Bundestagsmandat ist auch eine Verpflichtung, findet Hohmann. "Ich bin bereit, auch diese Verantwortung zu tragen." 

Ob sie will oder nicht.

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