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Super Bowl 2024: Spiegel der Gesellschaft: Darum liebe ich Football so viel mehr als Fußball

Stern 
Super Bowl 2024: Spiegel der Gesellschaft: Darum liebe ich Football so viel mehr als Fußball

Die Regeln sind kompliziert, der Ball nicht rund, viele fremdeln hierzulande noch mit Football. Aber es lohnt sich, für das Super-Bowl-Finale nachts vor dem Fernseher zu sitzen, meint unsere Autorin. Eine Liebeserklärung an einen uramerikanischen Sport, der an Urinstinkte appelliert.

Wie erklärt man Liebe? Noch dazu zu einem Sport? Einem Sport, der im Fußball-Land Deutschland so vielen immer noch fremd ist? Bei dem die allermeisten sofort sagen: "Ich verstehe die Regeln gar nicht." Hierzulande hat ein Ball rund zu sein und elf Mann (inzwischen zum Glück auf Frauen) rennen ihm hinterher. Fußball und Football klingen so gleich – aber es liegen Welten dazwischen. Das eine ist urdeutsch und das andere uramerikanisch.

Tom Brady, den inzwischen verrenteten Star-Quaterback, kennen noch die meisten. Vermutlich aber nicht, weil er einer der besten Footballer aller Zeiten war, sondern mit Supermodel Gisele Bündchen verheiratet war und gerade geschieden wurde. Ich habe von 2013 an für fast fünf Jahre in der Nähe von New York als Reporterin gelebt. Und habe damals gelernt, dass wer ein Land kennen lernen will, sollte sich den Sport anschauen. Und da ist in den USA Football einfach unglaublich beliebt und hat Baseball oder Basketball längst abgelöst.

Ziel beim Football ist es, den Ball in die Endzone zu befördern

Im Januar und Februar kann man dem Hype und der kollektiven Aufregung um den Super Bowl gar nicht entgehen. Wollte ich auch gar nicht, ich schaute von der ersten Sekunde fasziniert zu. Wie sich diese dick verpackten Männer gegenseitig über den Haufen rennen. Wie am Spielfeldrand noch mehr Männer stehen, die den Spielern per Mikro im Helm sagen, was sie zu machen haben. Und was ihre Laufwege sind. Erst war es totales Chaos für mich. Mit der Zeit ergab es aber Sinn. Jedes Team hat vier Versuche, um den Ball zehn Yards nach vorne zu befördern. Dann gibt es vier neue Versuche. Ziel ist es, das Ende des 120 Yard langen Spielfeldes zu erreichen. Genannt die Endzone.

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Mit der Zeit wandelte sich meine üble Konfusion in Begeisterung. Vor meinen Augen wirkte das Spiel plötzlich wie ein Tanz. Perfekt durchchoreographiert. Mit wunderschönen Würfen, die treffsicher in den Armen von irgendwelchen Spielern landen. Die dann wie an Schnüren gezogen über das Spielfeld rennen. Was auf den ersten Blick verwirrt, folgte einem großen Plan. 

Football appelliert an die Urinstinkte. Es ist natürlich martialisch, wenn diese Giganten ineinander rennen. Immerhin heute nicht mehr mit dem Kopf voran, so sollen bleibende Schäden durch Gehirnerschütterungen verhindert werden. Aber oft glaubt man immer noch die Knochen krachen zu hören. Und egal wie spektakuläre jemand über den Haufen gerannt wird, am Ende stehen die allermeisten innerhalb weniger Sekunden wieder quietschfidel auf den eigenen Beinen. Und anders als im Profi-Fußball, das heute so oft so steril und blutleer, kochen beim Football die Emotionen oft hoch. Mehr Brot und Spiele geht eigentlich nicht. 

Football ist viel mehr als nur ein Sport. Es ist der perfekte Spiegel der Verfasstheit eines Landes. Es ist der Kampf der Überwältigung, des Plattmachens. Die USA sind ein unglaublich hartes Land. Es gilt meist das Recht des Stärkeren. Wer es hier schafft, schafft es überall, sang schon Frank Sinatra über New York, dem Epizentrum der Vereinigten Staaten. Das gilt auch heute noch. 

Die Quarterbacks sind die Stars der Teams. Die Denker, so sagt man, die die Kommandos an das Team weitergeben. Die es führen. Die allermeisten sind weiß. Diejenigen, die sich sinnbildlich (und manchmal wahrhaftig) die Knochen brechen, sind in der Mehrheit schwarz. Sie sind schlecht bezahlt, schnell ersetzt – kämpfen aber um ihren Aufstieg. Und werden häufig am Spielfeldrand irgendwie zusammengeflickt mit Tape, Schmerzmitteln und Pflastern, bevor sie wieder ins Spiel geschickt werden. Man stelle sich diese Härte mal bei einem der hochbezahlten Spielern der Fußball-Bundesliga vor. Natürlich hat das seinen Preis, die durchschnittliche Karriere eines solchen Spielers dauert meist nur wenige Jahre. Genauso ist Amerika. Es ist hart, aber wenn es läuft, kann man eine tolle Zeit haben.

Angeberwissen für den Super Bowl

Fumble, Interception: Die Abseitsregel im Fußball erscheint plötzlich langweilig

Alles, um ein Spektakel für die Massen zu ermöglichen. Ich weiß das natürlich auch, ich kenne den Preis. Trotzdem hat Football mich in den Bann geschlagen. Ich kenne inzwischen unzählige Fachbegriffe: Fumble, Interception oder Pass Interference, ich könnte stundenlang so weiter machen. Und alle um mich herum verwirren. Die Abseitsregel im Fußball scheint plötzlich so einfach. Aber auch langweilig. Ich weiß, warum die Football-Schiedsrichter ab und zu gelbe Fahnen aufs Feld werfen. Ich weiß, warum die Trainer eine rote haben. Ich liebe es, den amerikanischen Moderatoren zuzuhören, wenn sie die Spielzüge analysieren. Oder ein ihrer unzähligen Statistiken zitieren. Es gibt nichts, was sich nicht in Zahlen packen lässt. Heldentum wird messbar.

Und Football verbindet, denn anders als in Deutschland ist Fantum in den USA recht entspannt. Egal für welches Team man ist, vor dem Spiel wird vor dem Stadion auf dem Parkplatz gegrillt. Tailgating heißt das, ein deutsches Wort gibt es dafür nicht. Und man stelle sich mal vor, wie das ausgehen würde, wenn Fans von Bayern München und Borussia Dortmund sich zum Grillfest treffen würden.

Ortsbericht Las Vegas

Verliebt in Football habe ich mich auch, wegen Spielern wie Russell Wilson. Der ehemaliger Quarterback der Seattle Seahawks führte das Team gleich in meinem ersten Jahr in den USA zum Gewinn des Super Bowls. Er war einer dieser jungen Spieler, die nicht einfach nur hinter der Abwehr standen und die Bälle verteilten: Er täuschte und tänzelte. Und manchmal – zum Entsetzen der Fans, weil sie fürchteten der Star des Teams könnte sich verletzen – klemmte er den Ball selbst unter den Arm und rannte los. Heute juble ich los, wenn Patrick Mahomes von den Kansas City Chiefs den Ball mit seinem "geklappten" Handgelenk gekonnte um die Ecke wirft. Oder Brock Purdy einen Touchdown nach dem andern wirft. Obwohl kein Experte jemals irgendwas zugetraut hatte. Weil kein Team ihm verpflichten wollte und er nur als Notlösung engagiert wurde, trug er lange den Spitznamen "Mr. Irrelevant". Inzwischen steht sein Team zum zweiten Mal in Finale des Super Bowls. Solche Aufstiegsgeschichten liebt man in den USA.

Vor ein paar Jahren war ich mit meinem Mann und Kind in den Universal Studios in Kalifornien. Ich trug damals ein T-Shirt mit dem Logo der Seattle Seahawks, eigentlich hatte ich mir gar nichts dabei gedacht. Aber an diesem Tag lernte ich unglaublich viele Menschen kennen. Die mir zuriefen: "Go, Seahawks", "Russell Wilson", "Great Team". Oder mich ansprachen: "Wo kommt ihr her?", "Hast du das Spiel am Sonntag gesehen" oder "Dieses Jahr wird es mit dem Super Bowl sicher wieder klappen." Da wusste ich sicher: Ich liebe diesen Sport!

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