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Lawinenunglück in Galtür 1999: "Bist eingesperrt": Zwei Schwestern saßen in Ischgl fest, als im selben Tal Lawinen 38 Menschen in den Tod rissen

Stern 
Lawinenunglück in Galtür 1999:

Vor 25 Jahren starben in Galtür und Valzur 38 Menschen bei einer der größten Lawinenkatastrophen Österreichs. Patricia und Marion Loher machten damals Skiferien im Tal. "Wir hatten sehr viel Glück", sagen sie heute. 

Die Lawine donnerte vom Grieskogel 1100 Höhenmeter hinab ins Tal. 31 Menschen rissen die Schneemassen in den Tod. Einen Tag nach dem Lawinenunglück von Galtür am 23. Februar 1999 ging im benachbarten Weiler Valzur in der Gemeinde Ischgl eine weitere Lawine ab. Sieben Menschen starben. Die Lawinenkatastrophe im Paznauntal vor 25 Jahren ist eine der größten Österreichs. 

Patricia und Marion Loher, zwei Schwestern aus der Schweiz, reisten Mitte Februar 1999 für ihre Skiferien ins Paznauntal. Hier erinnern sie sich an diese Tage zurück. 

Marion: Unsere Ferienwohnung in Ischgl lag zentral, etwas am Berg, ganz in der Nähe der Talstation. Wir kamen am Samstag an. Wir wollten eine Woche bleiben. 

Patricia: Wir waren Anfang 20 und verbrachten unsere dritten Skiferien in Ischgl. Die beiden Jahre davor waren super gewesen. Viel Party, jeden Tag Skifahren. Dieses Mal fing es brutal an zu schneien. Und hörte nicht mehr auf. Es schneite und schneite und schneite. 

Schnee bedeckte Dächer und trübes Wetter: Der Blick aus der Ferienwohnung der Loher-Schwestern in Ischgl
Es schneite und schneite und schneite: Der Blick aus der Ferienwohnung der Loher-Schwestern in Ischgl
© privat

Marion: Am Mittwoch machten sie die Straße nach Landeck dicht. Ich erinnere mich an den riesigen Schneehaufen, der die Straße versperrte. Wir kamen nicht mehr raus. 

Patricia: Irgendwann standen auch die Lifte still. Kein Skifahren vor lauter Schnee. Am Anfang fanden's alle noch recht cool. So ist es im Winter in den Bergen, es schneit halt auch mal mehr. Mitte der Woche dachten wir noch, am Samstag kommen wir schon wieder heim. Ende der Woche wurde mir dann mulmig. Im Radio sagten sie, so viel Schnee habe es seit Messbeginn nicht gegeben. Sie könnten die Massen an den Hängen nicht mehr richtig einschätzen. Oh, scheiße. 

Marion: Ich rief in der Arztpraxis an, in der ich damals arbeitete, Patricia bei ihrer Zeitung im Rheintal: Wir hätten ja am Montag eigentlich wieder arbeiten sollen. Das ging aber nicht. Wir waren eingeschneit. 

Patricia: Ich berichtete von da an für meine Zeitung aus Ischgl – über die leerer werdenden Regale, über die Helikopter, die Lebensmittel einflogen. Ich schrieb von Hand, ging zur Post und schickte ein Fax. 

PAID STERN 2019_31 Der kälteste Tod 19.05

Marion: Am Dienstag waren wir im Dorf unterwegs. Mehr als eine Woche waren wir inzwischen in Ischgl. Es war recht ruhig im Ort. Wir tranken etwas im "Kitzloch". Kurz nach 16 Uhr kam der Kellner zu uns: "Geht jetzt lieber heim", sagte er. "Im Nachbardorf ist eine Lawine abgegangen." Man wisse nicht – ich kriege noch heute eine Gänsehaut – ob die Hänge hier sicher seien. 

Patricia: Wir sind nach Hause vor den Fernseher: Nachrichten, Talkshows, Teletext. Wir sagten uns, dass wir jetzt einfach abwarten müssen und darauf vertrauen, dass uns nichts passiert. Ich hatte schlechte Träume. Ich habe mich gar nicht getraut, euch das damals zu erzählen. Eine Freundin saß im Rollstuhl. Eine Lawine kam ins Zimmer rein. Die ersten zwei Nächte waren gar nicht gut. 

Marion: Es war so eng im Tal. Die Hänge von beiden Seiten. Du bist eingesperrt. Du kannst nichts machen. Dieses Ausgeliefertsein. 

Patricia: Am nächsten Tag begannen Pläne für die Evakuierung. Erst war natürlich Galtür dran. Wir ließen uns auf eine Liste setzen. Wir haben Nachrichten geschaut, gespielt. 

Marion: Tabu, Stadt Land Fluss. Keine von uns hat die Nerven verloren. Wir sind alle ruhig geblieben. Das finde ich bis heute erstaunlich. 

Patricia: Ja, da war nie Panik. Jede von uns hatte ihre Tasche parat. Wenn wir an die Reihe kämen, sollte es schnell gehen. Ich erinnere mich an einen Kinoabend in der Turnhalle. Das war eine seltsame Stimmung. 

Marion: Wir konnten in unserer Wohnung bleiben, aber andere mussten in der Turnhalle übernachten, weil ihre Unterkunft wegen Lawinengefahr evakuiert worden war. 

Patricia: Dann, endlich, hörte es auf zu schneien. In der zweiten Woche machte der Himmel auf. 

Helfer in Galtür stehen auf einem Dach und beginnen mit Aufräumarbeiten nach dem Lawinenunglück
Zerstörte Häuser, Schneemassen überall: Wenige Tage nach der Lawinenkatastrophe von Galtür
© HANS KLAUS TECHT

Marion: Am Freitag waren wir dran. Wir mussten auf den großen Parkplatz und stiegen in einen Super Puma der Armee. In Imst landete der Helikopter auf der gesperrten Autobahn. Wir wurden in eine Zivilschutzanlage gebracht, mussten uns registrieren und bekamen was zu essen und trinken. Es war alles sehr gut organisiert. Wir hatten damals Glück, sehr viel Glück. 

Amerikanische Militär-Helikopter des Typs "Black Hawk" starten am 25. Februar 1999 auf der gesperrten Inntal-Autoahn zwischen Imst und Landeck, um nach Galtür zu fliegen
Amerikanische Militär-Helikopter des Typs "Black Hawk" starten am 25. Februar 1999 auf der gesperrten Inntal-Autoahn zwischen Imst und Landeck, um nach Galtür zu fliegen
© Peter Kneffel

Patricia: Von dort wären wir eigentlich in einer Stunde wieder zu Hause gewesen im Rheintal. Doch der Arlbergtunnel war wegen des vielen Schnees gesperrt. Also mussten wir mit dem Zug über Salzburg und München fahren.

Patricia: Einen Tag nach unserer Evakuierung ging dann auch die Straße ins Paznauntal wieder auf. 

Marion: Das Auto stand noch dort. Eine unserer Freundinnen fuhr eine Woche nach der Evakuierung nach Ischgl, um es zu holen. Ich hätte das damals nicht gekonnt. Ich war erst viele Jahre später wieder einmal in Ischgl – im Sommer. 

Galtür Ischgl 25 Jahre Lawine Infokasten

Transparenzhinweis: Unsere Autorin kennt Marion und Patricia Loher persönlich 

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