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Berlin: 91-jährige Unternehmerin Schwarz-Schilling: "Es wird besser als Frau, wenn man erst einmal 50 ist"

Stern 
Berlin: 91-jährige Unternehmerin Schwarz-Schilling:

Marie-Luise Schwarz-Schilling ist Unternehmerin, Autorin und gründete die "Stiftung Mitte Berlin" – mit 90. Sie ist eine Pionierin, auch wenn sie das selbst nie über sich sagen würde.

Marie-Luise Schwarz-Schilling hat in der Nachkriegszeit mit Mitte 20 die Firma des Vaters übernommen, sie schreibt Bücher über das Verhältnis der Geschlechter und bezeichnet die Ehe als "Seitensprung der Geschichte". Dabei ist sie selbst seit 69 Jahren verheiratet – mit dem ehemaligen Postminister Christian Schwarz-Schilling (CDU). Mit 91 hat sie eine Stiftung gegründet. Sie ist eine Macherin, die noch lange nicht daran denkt, sich zur Ruhe zu setzen.

Die Boss mit Marie-Luise Schwarz-Schilling17.35

Frau Schwarz-Schilling, Sie haben nach dem Tod Ihres Vaters 1957 mit nur 25 Jahren die Accumulatorenfabrik Sonnenschein übernommen. Damit dürften Sie eine der wenigen Frauen in so einer Rolle gewesen sein. Wussten Sie, was auf Sie zukommt?
Ich wusste das von Anfang an, ich war die einzige Tochter, also musste mein Vater mich wählen. Aber ich sage Ihnen etwas: Damals waren viele Frauen Bosse. Die Männer waren im Krieg oder noch in der Gefangenschaft. Das ist vielleicht nicht publik geworden, aber viele Frauen haben Unternehmen als Bosse weitergeführt – Handwerksbetriebe, Handelsfirmen oder sogar Krankenhäuser. 

Wie so oft spricht man wenig darüber, was Frauen alles schaffen.
Ja, sie haben das einfach gemacht, sogar erfolgreich. Und dann wurden sie wieder an den Herd zurückgedrängt – und haben auch nicht aufgeschrien. Das war ein großer West-Fehler, muss ich sagen. 

Hatten Sie damals ein Akzeptanzproblem oder hat jeder gesagt, "nein, diese junge Frau kann das"? 
Nein, natürlich nicht. Man hat versucht, Frauen unterzubuttern. Und Frauen mit 30 sind noch nicht wirklich die geborenen Führerinnen. Aber trotzdem waren sie geduldet, weil es notwendig war. Man kann heute nicht mehr verstehen, was einmal alles notwendig war. 

Wie haben Sie sich durchgesetzt?
Ich habe immer geredet und gemacht und war im Dialog mit den Leuten, die unter mir waren. Von ihnen habe ich viel gelernt. Ich hatte deshalb keine essenziellen Schwierigkeiten. Man muss aber sehen, dass in meinem Unternehmen niemand war, der mir den Vorsitz abringen wollte. Das ist sicherlich in vielen Familien anders gewesen.

Audio Luise Schwarz-Schilling

Sie haben sich dann auch entschieden, eine Familie zu gründen?
Ja, absolut. Kinder wollte ich haben, fertig, aus. 

Sie haben zwei Kinder bekommen. Wie haben Sie das unter einen Hut bekommen?
Ich hatte eine furchtbar nette Kinderfrau, ein Riesenglück. Sie war eine sehr gebildete Pfarrerstochter und hat 18 Jahre lang mit uns gelebt.

Das heißt, Sie waren auch so fortschrittlich erzogen, dass es eine Selbstverständlichkeit war, Beruf und Familie zu kombinieren?
Ja, das kann man so sagen. Mein Vater hatte zwei sehr energische Schwestern und war sehr liberal. Er hatte nie ein Problem mit Frauen. 

Sie haben dann einen Mann geheiratet, der Bundespostminister wurde – Christian Schwarz-Schilling. Aber später haben Sie ein Buch geschrieben, dessen Titel sagt, die Ehe sei ein Seitensprung der Geschichte. 
Ja, der gesamten Menschheitsgeschichte. Ich meine, 5000 Jahre von 100.000 Jahren ist ja nun nicht so wahnsinnig viel. Nun kommt die Ehe angeblich wieder in Mode. Aber wir haben heute noch die allergrößten Schwierigkeiten damit. 

Was ist das Problem der Ehe?
Dass die Frauen immer glauben, sie wären nicht so gut wie die Männer. Männer überschätzen sich ständig. Das ist ein Problem, das noch nicht gelöst ist. Es wird besser als Frau, wenn man erst einmal 50 Jahre alt ist.

Das heißt, wir können unseren Leserinnen Mut machen, dass man ab 50 deutlich souveräner ist. 
Genau richtig. 

Meine Mutter ist 1935 geboren und sie hat mit 35 gesagt, dass sie heute nicht mehr heiraten würde. Da war mein Vater richtig böse. 
Das kann ich verstehen. Für mich gibt es heute allerdings wieder durchaus gute Gründe für Familie oder Heirat. Gerade wenn es um Einwanderung geht, ist es nützlich für die Eingliederung, dass sich Familien verbinden und sich Menschen aus Syrien oder wo auch immer hier wohlfühlen. Das ist ein ganz neuer Gesichtsunkt, zu dem ich mich noch nie geäußert habe. 

Ein spannender Punkt. Da geht es dann weniger um das Zusammenspiel von Geschlechtern in einer Ehe, sondern eher um Familie und Integration. 
Ja, man fühlt sich gemütlicher in einem Land, wenn man Onkel und Tante hier hat.

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Sie haben mal Liebe als Handelsgeschäft bezeichnet. Was heißt das?
Das ist vollkommen richtig. Man tauscht ununterbrochen ein nettes Wort oder ein Lächeln oder einen Kuss oder auch sonst irgendwas aus. Das ist aber komplizierter, als dass ich das in drei Worten ausrücken könnte. Dazu muss man schon mein Buch lesen. 

Seit wie vielen Jahren sind Sie nun verheiratet?
Seit 69 Jahren.

Das heißt, Ihre Handelsbeziehung hat richtig gut funktioniert?
Ja, das hat gut funktioniert. 

Würden Sie sich als Feministin bezeichnen?
Ach, das weiß ich nicht.

Sie setzen sich für die Gleichberechtigung von Frauen ein. Ich würde behaupten, Sie sind Feministin. 
Also wenn Sie das gerne möchten, nennen Sie mich so. Aber nageln Sie mich nicht darauf fest. Da kommt sonst irgendwann jemand und sagt: "Das darf eine Feministin nicht sagen." Und das will ich nicht. 

Wichtig ist also, was man tut und nicht das Label. 
Genau.

Jetzt haben Sie mit 90 Jahren die "Stiftung Mitte Berlin" gegründet. Was hat es damit auf sich?
Berlin besteht aus 800 Quadratkilometern. Ein einziger Quadratkilometer ist der um den Molkenmarkt, also das Viertel, wo das Rathaus auch heute steht. Dieses Viertel will ich gerne wieder so herrichten, dass man sich dort gemütlich fühlt. Heute ist dieses Gebiet eine Autobahn mit Randbebauung. Und das will ich ändern. Ich will, dass da wieder eine schöne, lebendige Altstadt entsteht. Das, was der Senat dort vorhat, nämlich Plattenbauten hinzustellen, halte ich für eine Verschwendung. Die Wohnungsnot in Berlin kann man dort sowieso nicht lösen, weil das Viertel viel zu klein ist.  Wir haben schon so viele Plattenbauten, hier müssen wir doch mal was anderes machen. Ich möchte das Viertel gerne historisch wieder aufbauen, dass man dort hingehen kann, abends auch einmal ein Bier trinken kann. Aber die ganze Innenstadt ist an der Stelle nachts tote Hose. Der Mensch braucht Abwechslung.

Ihr Leben steht auch ein wenig dafür, dass Sie immer Abwechslung angestrebt haben. Sind Sie ein neugieriger Mensch?
Ja das ist ein wichtiger Punkt für mich.

Deshalb waren Sie auch immer eine Pionierin, eine Macherin. 
Das sind Worte, die Sie benutzen. Aber etwas in die Tat umzusetzen – das ist eine Sache, die heute definitiv zu wenig gepredigt wird. 

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Sie haben ein stolzes Alter und sind trotzdem so aktiv. Wie sieht Ihr Tag aus?
Ich schlafe lange und bin nachts sehr lange wach. Bis fünf oder sechs. Dann habe ich meine beste Zeit und schreibe meine Sachen. Ich bin auch gern allein. In der Nacht bin ich immer allein. Dann bin ich sehr zufrieden und kann vor mich hindenken. 

Ist es das, was Sie jung hält?
Keine Ahnung, da fragen Sie am besten einen Spezialisten.

Ihre Töchter sind jetzt um die 60, ihre Enkelkinder 30 – haben Sie einen Rat für die junge Generation?
Ich glaube, dass eine Frau in irgendetwas speziell ausgebildet werden muss und in diesem Fach wirklich klasse sein muss. Wenn eine Frau in einem Punkt Expertin ist, gibt ihr das Sicherheit. Man muss Frauen immer Mut machen, sie viel loben. Gerade Frauen brauchen immer positive Unterstützung. Und das möchte ich allen sagen, die Frauen um sich haben.

Das Gespräch führte Marie-Luise Schwarz-Schiling mit Christiane Benner im stern-Podcast "Die Boss – Macht ist weiblich". Es wurde für stern PLUS redaktionell angepasst. 

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