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Techno-Party: Time Warp-Festival: Wenn Alt-Raver auf die Gen Z treffen

Stern 

Dreißig Stunden Dauertanzen: Das Techno-Event Time Warp feiert 30. Geburtstag und lockt 30.000 Besucher aus aller Welt nach Mannheim. Immer mehr Raver der jungen Generation sind darunter. Ein Clash zwischen Beats, Pillen und Ekstase.

Sandra Weiß will nur eines an diesem Abend: Sven Väth sehen. "Ich bin sein größter Fan", sagt die 42-Jährige. Eine Botschaft, die sie nur zu gern mit der Welt teilt. Sie trägt ein Shirt mit der Aufschrift "Väthisch", auf ihr Handgelenk hat sie den Nachnamen des DJs tätowiert. Was sie an ihm mag? "Einfach alles", sagt sie, "Sven Väth – das ist eine Lebenseinstellung!"

Zusammen mit ihrem Mann Sebastian Burkat ist Sandra Weiß auf dem Weg zur Time Warp, einem Techno-Festival in Mannheim, das in diesem Jahr seinen 30. Geburtstag feiert. 75 Künstler legen hier auf, so auch Väth, der zwar nicht seit Gründungstagen dabei ist, aber immerhin seit 1995 dort spielt. Viele verbinden ihn ohnehin mit dem Festival seit seinem legendären Auftritt 2006, mit dem er es sogar in die Tagesschau schaffte. Damals griff er zum Mikro und schrie in die Menge: "Its all about Gude Laune, Alder!" 

Für Weiß ist "Gude Laune" auch das Synonym für hämmernde Beats. Seit ihrer Teenagerzeit tanzt sie zu elektronischer Musik. Sie liebt den Rausch, das Abdriften, den Moment, wenn sie alles um sich herum vergisst. "Techno bedeutet für mich, einfach mal den Kopf auszuschalten", sagt sie und tanzt mit den Füßen stampfend auf der Stelle.STERN PAID Ravetok, 20.00

Techno: Musik zum Wegballern?

So oft sie können, besuchen ihr Mann und sie deshalb Techno-Festivals, wie das Tomorrowland in Belgien, das Awakenings in den Niederlanden, ebenso die Time Warp in Deutschland. "Ich könnte auch in Clubs gehen", sagt sie, "aber da sind meist nur sehr junge Raver, die viel härteren Techno hören als wir." Musik zum Wegballern, nennt sie das. 

In der Wabe: In dieser Kulisse legten die DJs Solomun und Marcel Dettmann auf
© Cosmopop GmbH

Was Weiß meint, erlebt man wenige Stunden später auf dem Festivalgelände der Time Warp. Auf Floor 2, der Halle, in der Sven Väth spielt, steht der DJ an seiner Booth, er trägt Brille und raspelkurze Haare. Hinter ihm stehen zwei große Koffer. Väth, der in diesem Jahr 60 wird, ist einer der letzten seiner Szene, der noch Vinyl auflegt. Viele seiner Kollegen schieben längst nur noch Sticks in ihre Anlagen. Zwar ist es dunkel in der Halle, doch durch die zuckenden Scheinwerfer blitzen immer wieder Gesichter aus der Menge heraus. Die Raver die hier zum Beat zucken sind Millennials zwischen 30 und 40 Jahren, die mit Väths Musik groß wurden. Nur selten sieht man hier einen Gen-Z-Raver.

Tatsächlich waren viele der jungen Elektro-Fans noch nicht einmal geboren, als Ende der 80er Jahre die Technobewegung ihren Anfang nahm. Damals schwappte der Stil aus der schwarzen Musikszene von Detroit und Chicago nach Europa. Es war die Zeit des Mauerfalls, plötzlich hallten die hämmernden Bässe der neuen Musik durch stillgelegte Gebäude in Berlin. Techno wurde nicht nur zum Soundtrack der Wiedervereinigung, sondern prägte auch die Musik einer ganzen Generation. 

Da Techno in den Folgejahren kommerzialisiert wurde und jede Kleinstadt Raves veranstaltete, entschieden die Macher der Time Warp 1994, ein Festival zu gründen, das zu den Anfängen und den DJs jener Zeit zurückkehrte. Underground statt Mainstream – so lautete der Spirit. Damals legten Künstler wie Laurent Garnier, Sven Väth, Carl Cox oder Richie Hawtin auf, bis heute gelten sie als Pioniere elektronischer Musik. 

Von Mannheim nach Sao Paolo, Madrid und New York

Ein Konzept, an dem die Time Warp zu ihrem 30. Geburtstag noch festhält und inzwischen auch nach Sao Paulo, Madrid und New York getragen hat. Viele DJs aus der Anfangszeit legen an diesem Wochenende in Mannheim auf. Nie zuvor gab es ein größeres Line-up. "Der Fokus auf Techno ist geblieben, doch es gibt eine ausgewogene Balance zwischen neuen Talenten und etablierten Größen", erklärt Robin Ebinger, einer der Veranstalter, der etwa 30.000 Raver aus 80 Nationen erwartet. 

Auf sieben Floors, die sich auf dem Gelände der Maimarkthalle verteilen, spielen Elektro-Legenden, ebenso angesagte Megastars wie Solomun, Marcel Dettmann, Ricardo Villalobos oder auch die Grammy-prämierte DJane Honey Dijon. Die Amerikanerin, die viele als Resident-DJane aus dem Berliner Berghain kennen, arbeitete bereits mit Popstars wie Madonna und Beyoncé zusammen. Für das "Renaissance"-Album von Queen B produzierte Dijon, die als schwarze Transfrau eng verknüpft ist mit der queeren Szene, gleich zwei Tracks mit, für die sie den wichtigsten Musikpreis erhielt. STERN PAID Tara-Louise Wittwer Sexismus im Netz 16.54

Harnische und nackte Haut

Auf Floor 3, wo sie an diesem Abend in Skinny-Jeans und blitzweißen Nike-Sneakern auflegt, drängen sich vor allem junge Raver um ihre DJ-Booth. Zwar kann man in der dunklen Halle ihre Gesichter kaum erkennen, doch verrät der Tanzstil ihr Alter. So erklärt es zumindest Gia, eine 23-jährige Raverin, die mit ihren Freunden aus Palermo angereist ist. Zwei von ihnen tragen schwarze Fetisch-Harnische zu kurzen Röcken, eine andere tanzt mit halbnacktem Po, nur bekleidet mit Strumpfhosen. "Keiner von uns macht den Stampfer oder den Kreuzer", sagt sie. Damit meint sie die Schrittfolgen, die sie häufig bei Älteren in der Szene wahrnimmt. "Es sieht aus wie das Techno-Getrampel der Neunziger". 

Und der Stil der Italienerinnen? "Wir sind die Stepper", sagt sie und bewegt ihre Arme und Beine im schnellen Rhythmus, fast so, als stünde sie zu Hause auf dem Hometrainer. Ein Ordner, der jedes Jahr auf der Time Warp arbeitet, sagt, das komme vom MDMA, einer Partydroge, die den Bewegungsdrang erhöhe.

Dass heute zwei Generationen auf die Tanzflächen drängen, findet Sandra Weiß gut. Es zeige, wie wichtig Techno für viele Leute sei, sagt sie. Nur eine Eigenart der Jungen geht ihr oft auf die Nerven. "Ständig zücken sie ihr Handy und filmen oder knipsen sich beim Tanzen." Das Blitzlicht stört, manchmal wird man ungewollt abgelichtet. Alles dreht sich um den perfekten Tiktok-Content, der Hashtag #ravetok ist in der Gen Z längst ein Social-Media-Renner. "In Berliner Clubs wird nicht ohne Grund oft die Kamera abgeklebt, das sollte überall gelten", sagt Weiß.

Grammy-Gewinnerin und DJane: Honey Dijon bei ihrem Time Warp-Auftritt
© Cosmopop GmbH

Für sie gilt nur eine Ausnahme: ein Foto mit Sven Väth. Sie hofft darauf, irgendwann wieder eins mit ihm zu bekommen, vielleicht schon bei der nächsten Time Warp. Dann wird der DJ seinen 60. Geburtstag feiern. "Ich habe das Gefühl, dass ich dabei sein muss", sagt Weiß. "Vielleicht nicht unbedingt für ihn – aber für mich!"

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