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Champions League: Zwischen Mut und Wut: Die Bayern träumen von Wembley und hadern mit dem Schiedsrichter

Stern 
Champions League: Zwischen Mut und Wut: Die Bayern träumen von Wembley und hadern mit dem Schiedsrichter

Beim Viertelfinalhinspiel in London zeigt der FC Bayern München ein anderes Gesicht als in der Bundesliga. Dass es gegen Arsenal London nur zu einem Unentschieden reicht, liegt auch an einer der kuriosesten Szenen er Champions-League-Saison.

Eine Menge Pathos schwang mit als Bayerns Vorstandsvorsitzender Jan-Christian Dreesen im Grand Ballroom des noblen Hotels "The Landmark" unweit des königlichen Regent's Park zu seiner Bankettrede ansetzte. Während Trainer Thomas Tuchel und die meisten Spieler das 2:2 im Viertelfinal-Hinspiel der Champions League beim FC Arsenal nicht recht einzuordnen wussten, machte der Boss auf Optimismus und Mut.

Nach den jüngsten Niederlagen eröffnete er seine Ansprache mit "Totgesagte leben länger! Das ist das wahre Gesicht des FC Bayern." Schließlich hätten die Münchner "schwere Wochen in den Knochen", in London jedoch "ein fantastisches Spiel" gezeigt. Der Mannschaft rief Dreesen zu: "Ihr dürft wirklich stolz auf euch sein, das war ein mehr als verdientes 2:2 – Gratulation! Das wollen wir von euch, liebe Mannschaft, noch viel, viel öfter sehen. Dann muss sich jeder in Europa vor uns in Acht nehmen. Natürlich lebt heute der Traum weiter." Eine Portion Aberglaube und der Glaube an den Halbfinal-Einzug (und vielleicht sogar noch mehr) sollen den Weg ebnen zum Endspiel am 1. Juni, ebenfalls in London, im Wembleystadion. Dort hatten die Bayern 2013 das Bundesliga-Duell um den Henkelpott mit 2:1 gegen Borussia Dortmund gewonnen. Und an jenem Wochenende im "The Landmark" genächtigt. "Es soll euch inspirieren, liebe Mannschaft, wieder diesen Geist aufleben zu lassen", betonte Dreesen.

Man wird ja noch träumen dürfen. Schließlich wartet im Halbfinale der Sieger aus Titelverteidiger Manchester City und Real Madrid, die sich im Hinspiel in Spanien mit einem spektakulären 3:3 trennten. Und noch steht es 2:2 zwischen Bayern und Arsenal, Halbzeit sozusagen vor dem Rückspiel am kommenden Mittwoch in München.

Arsenal Bayern  23.00

Rechtzeitig, wenn die Champions-League-Hymne ertönte, legten die Münchner ihr Bundesliga-Gesicht (2:3 bei Aufsteiger Heidenheim, 16 Punkte Rückstand auf Bald-Meister Bayer Leverkusen) wieder ab, zeigten ihr Königsklassen-Gesicht. Ein Festtag, kein schnöder Alltag. Beim 2:2 gegen die Nordlondoner mit DFB-Nationalspieler Kai Havertz erzielten ausgerechnet Ex-Gunner Serge Gnabry und Harry Kane, bis letzten Sommer bei Arsenal-Rivale Tottenham Hotspur, die Tore. Bei Bayerns Lieblingsgegner, den sie zuletzt drei Mal hintereinander 5:1 bezwungen und in allen vier K.o.-Runden-Duellen seit 2005 die Oberhand behalten hatten. Diesmal war man gegen den Tabellenführer der Premier League sogar – ganz gerne – in der Underdog-Rolle, überließ den Gastgebern meist den Ball und agierten mit deutlich mehr Einsatz und Leidenschaft als vor drei Tagen bei der 2:3-Blamage in Heidenheim.

"Auf diesem Niveau geht es hin und her, wir können hadern und mit Wehmut draufschauen, aber auch froh sein. Ich bin ganz zufrieden", bilanzierte Thomas Müller, der das gesamte Spiel von der Bank oder beim Aufwärmen an der Seitenlinie beobachten musste. In der ersten Halbzeit war Arsenal besser, Bayern führte zur Pause mit 2:1. Die zweite Halbzeit bot ein umgekehrtes Bild. Müllers Fazit: "Wir hatten Glück und Pech gleichzeitig. Kingsley Coman macht am Ende fast das 3:2, der Ball geht an den Pfosten. Fußball halt."

Bayern kritisieren Schiedsrichterleistung: "Neue Form der Regelauslegung"

Nur eine von vielen Szenen, die das Spiel in eine Richtung hätte kippen lassen können. Da war die mögliche Rote Karte für Bayerns Mittelstürmer Harry Kane nach einem Ellbogencheck gegen Gabriel (55.). Kane sah nur Gelb. Und andererseits die kurioseste Szene der Partie in der 67. Minute: Arsenal-Keeper David Raya zögerte bei einem Abstoß. Nach dem Pfiff von Schiedsrichter Glenn Nyberg passte Raya zu Verteidiger Gabriel, der den Ball im eigenen Fünfmeterraum in die Hand nahm und den Abstoß erneut ausführte. Sofort reklamieren die Bayern, der Schiedsrichter lässt weiterlaufen.

Für Bayern-Trainer Thomas Tuchel, der die Leistung des Referees als "unterdurchschnittlich" bezeichnete, "ein hundertprozentiger, glasklarer Handelfmeter, den wir nicht gekriegt haben. Das tut auf dem Niveau extrem weh. Eine verrückte Situation, aber ein riesiger Fehler." Am Mikrofon bei "Prime Video" schilderte Tuchel die Sekunden danach: "Der Schiedsrichter sagt zu unseren Spielern: ‚Ja, aber es ist ein kid`s mistake (ein Kinderfehler, d. Red.), das pfeif ich nicht im Champions-League-Viertelfinale. Das ist eine ganz neue Form der Regelauslegung, das ist einfach unglaublich."

Kai Havertz spielt bei Arsenal groß auf 16:13

Während es für Kane "der klarste Elfmeter war, den ich je gesehen habe", konnte auch Müller seine Verwunderung über die Auslegung der Situation nicht zurückhalten. "Der Schiedsrichter hat es klar gesehen, ihm war der Fehler nur zu blöd, zu kleinlich, um einen Elfmeter zu geben. Ich verstehe ihn im Sinne des Spiels, aber der Schiedsrichter ist dazu da, die Regel umzusetzen." Daher meinte der 34-jähirge Routinier: "Ich glaube nicht, dass er sich über die Gesetze hinwegsetzen darf. Das kann mit spielentscheidend sein, das können wir uns eigentlich nicht gefallen lassen." Laut Regelwerk müssen Schiedsrichter einen Abstoß nicht anpfeifen, womöglich hat der Pfiff Torhüter und Verteidiger irritiert.

Anders als die aufgebrachten Bayern argumentierte Matthias Sammer, im Einsatz als Experte für "Prime". Der Ex-Nationalspieler erklärte zur umstrittenen Szene: "Das ist eine Situation, die regeltechnisch diskutabel ist. Aber im Sinne des Fußballs, wo gar nichts passiert und auf diesem Niveau gebe ich das nicht. Ich habe immer eine deutsche Brille auf und setze mich immer dafür ein, gar keine Frage. Aber in der Situation bin ich eher froh, dass es keinen Elfmeter gegeben hat." Oder wie Müller sagte: Fußball halt.

Der triste Bundesliga-Alltag als Ablenkung für den FC Bayern München

Am Samstag droht den Bayern wieder eine unangenehme Partie, wenn der abstiegsbedrohte 1. FC Köln in die Allianz Arena kommt. Ein ungeliebtes Sandwich-Spiel vor dem Rückspiel am Mittwoch gegen Arsenal, das darüber entscheiden wird, ob man der auf nationaler Ebene total verkorksten Saison mit einem Halbfinal-Einzug doch noch etwas Glanz und Glamour verpassen kann. "Wir haben eine sehr erwachsene Leistung gezeigt", meinte Sportvorstand Max Eberl, der sich "auf das Rückspiel mit unseren Zuschauern in der Allianz Arena im Rücken" freute. "Dann wollen wir zum Abschluss bringen, was wir hier begonnen haben." 

Trainer Tuchel, der nach den beiden Pleiten gegen Dortmund (0:2) und in Heidenheim erneut schwer in der Kritik war und angeschlagen wirkte, sendete gemeinsam mit der Mannschaft ein Lebenszeichen. Vor dem Rückspiel sagte er: "Die Ausgangslage ist klar, der Gewinner kommt weiter. Wir brauchen in München die gleiche Atmosphäre von den Zuschauern wie hier bei Arsenal, bei der Mannschaft die gleiche Hingabe. Leidenschaft und Qualität, dann kommen wir weiter."

Auf dem steinigen Weg ins Finale. "Wir haben einen kleinen Schritt getan", sagte Kane, "der Traum von Wembley ist immer noch da." Euphorischer und pathetischer formulierte es Vorstandsboss Dreesen, der auf dem Bankett den VIPs, Sponsoren und der Mannschaft zurief: "Im Rückspiel gilt es, mit Herz und Leidenschaft zu zeigen, wer der FC Bayern ist. Ihr packt es! Gemeinsam packen wir das!"

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