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Tag der Arbeit: Kundgebungen, Demos, aber auch Straßenschlachten – warum gibt es am 1. Mai so viele Krawalle?

Stern 

Der 1. Mai ist seit Jahrzehnten der Tag für Demonstrationen für die Rechte von Arbeitnehmern. Doch dabei kommt es regelmäßig auch immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Protestierenden und der Polizei. Woher kommt diese Tradition der Gewalt? 

Jahr für Jahr sorgt der 1. Mai für viel Gesprächsstoff. Während sich viele Arbeitnehmer schlicht über einen freien Tag freuen und ihn für Ausflüge ins Grüne oder eine feucht-fröhliche Bollerwagentour nutzen, ist der "Tag der Arbeit" auch das alljährliche Datum für Großdemonstrationen für Arbeitsrechte und Kapitalismuskritik. Insbesondere in Städten wie Berlin oder Hamburg kippen diese Proteste auch regelmäßig. Brennende Barrikaden und Autos, Straßenschlachten und ein Großaufgebot der Polizei dominieren häufig die Bilder des "Tags der Arbeit". Woher aber kommt diese Tradition der Gewalt, bei der einzelne Demonstrationen zu Straßenschlachten ausufern? 

Das "Haymarket Massacre" – der Ursprung des 1. Mai

Heute ist der 1. Mai als "Tag der Arbeit" ein bundesweiter Feiertag. So bezeichnend der Name heute auch ist, so verkürzt wirkt er im historischen Sinne. Denn eigentlich galt er als "Kampftag der Arbeiterklasse". Seinen Ursprung fand der Tag inklusive seiner politischen und gewalttätigen Komponenten wohl im Jahr 1886 in den USA. In der noch relativ jungen amerikanischen Demokratie demonstrierten rund 90.000 Arbeiter auf dem Haymarket in Chicago für die Einführung des Achtstundentages. Das Datum war dabei bewusst gewählt: Der 1. Mai war zum damaligen Zeitpunkt der sogenannte "Moving Day", der Tag an dem Arbeitsverhältnisse geschlossen wurden beziehungsweise ausliefen und viele Menschen damit gezwungen waren, umzuziehen, um eine neue Arbeitsstelle anzutreten. 

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Auf Kundgebungen folgte ein mehrtägiger Streik der Chicagoer Arbeiter. Bei dem Versuch der Polizei, ihn niederzuschlagen, wurden sechs Protestanten erschossen. Die eigentliche Eskalation erfolgte aber erst zwei Tage später: Beim Versuch der Polizei, den angekündigten Solidaritäts- und Trauermarsch für die Verstorbenen auf dem Haymarket Square gewaltsam aufzulösen, kam es zu blutigen Auseinandersetzungen. Einer der Demonstranten warf offenbar einen Sprengsatz in die Menge – zwölf Menschen starben, darunter auch ein Polizist, sechs weitere Beamte erlagen später ihren Verletzungen im Krankenhaus. Der Tag ging als "Haymarket Massacre" in die Geschichtsbücher ein.

Obwohl der Täter nicht ermittelt werden konnte und es ansonsten keine Anhaltspunkte für eine Verbindung zu ihnen gab, wurden acht Mitorganisatoren der Streiks im Anschluss festgenommen und zum Tode verurteilt. Die Urteile wurden später zunächst in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt und schließlich vom Gouverneur des Staates Illinois aufgehoben. 

Sozialistische Internationale macht den 1. Mai zum Kampftag

Drei Jahre später rief die "Sozialistische Internationale" zum Gedenken an die Opfer des Aufstands auf ihrem Gründungskongress den 1. Mai zum "Kampftag der Arbeiterklasse" aus. Seit 1890 wird der 1. Mai weltweit als "Protest- und Gedenktag" von linken Gruppen begangen. 

Und der kam auch in Deutschland an: Während der Kaiserzeit waren Versammlungen und Druckschriften durch die sogenannten "Sozialistengesetze" verboten. In dieser Zeit hatten Maiveranstaltungen einen eher festlichen als kämpferischen Charakter. Während des Ersten Weltkriegs richteten sich die verhaltenen Proteste vor allem gegen den Krieg und den Militarismus, zu Gewalt kam es aber selten. 

In der Weimarer Republik wurde der 1. Mai 1919 als "Tag der Arbeit" einmalig zum gesetzlichen Feiertag. Ab 1933 missbrauchten ihn die Nationalsozialisten für ihre Ideologie und benannten ihn in "Tag der nationalen Arbeit" um. Die inszenierten Propaganda-Aufmärsche hatten mit dem ursprünglichen Arbeiter-Kampftag aber nichts mehr zu tun. 

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg kam der Tag wieder näher an die ursprüngliche Idee heran – zumindest im Westen. In der DDR nutzte die SED-Führung den Tag für Aufmärsche unter Mottos wie "1. Mai 1960 – Der Sozialismus siegt". In der BRD nahmen die Gewerkschaften die Organisation der Großkundgebungen in die Hand. Dabei spielten nicht nur die Arbeitnehmerrechte eine Rolle, sondern später auch die Kritik am Vietnam-Krieg und Proteste für mehr soziale Gerechtigkeit. In den 1980er-Jahren nahmen in Westdeutschland teils mehr als eine Million Menschen an Maiveranstaltungen teil. 

1987: Eine romantisierte Straßenschlacht führte zur Tradition der Gewalt in Deutschland

Auch wenn es bereits in den 1960- und 1970er-Jahren immer wieder Ausschreitungen bei Demonstrationen am 1. Mai gab, war es das Jahr 1987, das den Grundstein für die jährlichen Krawallen legte, wie sie noch bis heute bestehen. Schauplatz war auch hierfür West-Berlin. Schon im Vorfeld war die Stimmung in der geteilten Stadt aufgeheizt. Zum einen empfand die linke Szene die Politik des CDU-geführten Senats als repressiv, zum anderen wurde Kritik an den Vorbereitungen der anstehenden 750-Jahr-Feier Berlins laut. Das Fass zum überlaufen brachte aber eine angekündigte Volkszählung. Kritiker befürchteten in ihr eine "Deanonymisierung", linke Gruppen riefen zum Boykott auf. 

Am Morgen des 1. Mai 1987 brach die Polizei die Türen des Mehringhofes auf, eines alternativen Kulturzentrums in Kreuzberg, und durchsuchte die Büroräume der Boykott-Initiative. Die Beamten begründeten die Maßnahme mit "Gefahr im Verzug", die Razzia heizte die Stimmung weiter an. 

Nachdem das traditionelle Straßenfest in Kreuzberg zunächst ohne Zwischenfälle und friedlich ablief, eskalierte die Gewalt am Nachmittag. Einzelne Autonome kippen einen Streifenwagen der Polizei um. Die Beamten wiederum lösten das gesamte Fest mit Schlagstöcken und Tränengas auf. 

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Was folgte war eine Straßenschlacht, die bis heute in der linke Szene romantisiert wird. Um ein weiteres Vorrücken der Polizei zu verhindern, errichteten Protestanten Barrikaden und schoben Bauwägen auf anliegende Straßen Kreuzbergs. Die Polizei zog sich teilweise unter dem Applaus von Anwohnern zurück. 

Bis zum frühen Morgen herrschte insbesondere rund um die Oranienstraße Anarchie. Die Zufahrten zu den Hauptstraßen wurden mit brennenden Barrikaden versperrt, Linksextreme legten mit Molotow-Cocktails Feuer, griffen Einsatzkräfte der Feuerwehr an, die Brände löschen wollten. Die Chaoten plünderten dutzende Geschäfte und steckten den U-Bahnhof Görlitzer Bahnhof in Brand. 

Der Rückzug der Polizei wurde von den gewalttätigen Protestlern als Sieg interpretiert, man habe die "Bullen aus dem Kiez geprügelt". Erst zwischen 2 und 3 Uhr nachts rückte die Polizei mit Räumpanzern und Wasserwerfern vor. Nach und nach nahmen die Beamten die Zentren der der Krawalle ein, mehr als 100 Personen wurden verletzt, 47 festgenommen.  

Auch wenn die Krawallen von 1987 im Rückblick nicht mehr waren als einige Stunden Anarchie und Plünderungen, stehen sie für den (kurzzeitigen) Sieg gegen die Staatsmacht und begründeten die Tradition, gegen sie aufzubegehren. In den 1990er- und 2000er-Jahren waren die Proteste in Berlin von Demos und Gegendemos zwischen linken und rechtsextremen Gruppen geprägt. Ähnlich in Städten wie Hamburg und Leipzig. In den vergangenen Jahren nahm die Gewalt bei Maiveranstaltungen aber kontinuierlich ab.

Quellen: Lebendiges Museum Online, Maizeitung, Redaktionsnetzwerk Deutschland, Der Spiegel

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