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Wimmelbilder: Augentest: Wo steckt der Mann im Ringelpulli?

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Wimmelbilder: Augentest: Wo steckt der Mann im Ringelpulli?

Ein Herz für Inder: Im bevölkerungsreichsten Land der Welt leben fast 1,5 Milliarden Menschen. Der Fotograf Greg Mo hat im Gewusel von Städten wie Delhi oder Mumbai eine besondere Figur versteckt. Ein Such-Vergnügen – mit ernstem Hintergrund

Sie glauben, samtags ist die Fußgängerzone schon viel zu voll? Dann sollten Sie derzeit keinen Urlaub in Indien buchen. Im vergangenen Jahr hat der Subkontinent erstmals China überholt, ist nun mit 1,425 Milliarden Menschen das bevölkerungsreichste Land der Welt.

Für den Fotografen Greg Mo geben die Massen nicht nur einen lebhaften Hintergrund ab, sondern werfen auch Fragen auf nach Identität und Individualität. Oder um es etwas philosophischer auszudrücken: Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?

Also macht sich Mo seit gut zwei Jahren mit seiner Leica-Digitalkamara auf, um mit einer leichten Weitwinkel-Linse in Städten wie Delhi und Mumbai, Kolkata und Chennai das wuselige Treiben einzufangen. Auf Basaren oder Fisch- und Blumenmärkten, zentralen Bahnhöfen oder einem Strand. Als klassischer Besuchermagnet durfte auch das Taj Mahal in Agra nicht fehlen.

Schnappschüsse mit Hintersinn

Seine Bilder können auf den ersten Blick wie Schnappschüsse eines Touristen wirken, der sich gerne unter die Einheimischen mischt, um die Fremde am eigenen Leib zu spüren. Doch die Fotos von Mo, 1981 in Paris geboren und zurzeit in Kambodscha lebend, sind hintersinniger.

Um den enormen Wachstum des Landes und den dortigen Alltag präziser zu illustrieren, ließ er sich von einem seiner Lieblings-Kinderbücher inspirieren. In der Reihe "Where is Wally?" muss man in großformatigen Wimmelbildern einen Mann suchen und finden, der immer gleich aussieht: Rot-weiß gestreifter Pulli, Wollmütze, Brille.

Ausgedacht in den 80er Jahren vom Londoner Kinderbuchautor und Illustrator Martin Handford, erschienen die Bilderbücher bald überall auf der Welt, aber unter verschiedenen Namen. In Frankreich hieß der Gesuchte Charlie, in den USA Waldo und hierzulande Walter. Die Figur wurde so beliebt, dass ihr eine eigene Zeichentrickserie gewidmet wurde, ein Comic-Strip und mehrere Videospiele. Dazu gab es Gastauftritte in der Komödie "Die nackte Kanone 33 1/3", dem Asterix-Film "Mission Kleopatra" und TV-Serien wie "Friends" oder "Eine schrecklich nette Familie". Allein die Bücher haben sich seitdem mehr als 70 Millionen verkauft und wurden in 26 Sprachen übersetzt.

Eines seiner Modelle hat er beim Kaffeetrinken kennengelernt

Seit zwei Jahren arbeitet Greg Mo nun an seiner eigenen Variante: "Wo ist Shakti?" "Ich habe den Namen gewählt, weil er die schöpferische Kraft des Universums, die eigentliche Quelle des Lebens, symbolisiert", erklärt er. Außerdem sei Shakti in Indien ein Unisex-Vorname. Mo ist ein Spezialist für Straßenfotografie. Seit einem Jahrzehnt reist er durch verschiedene asiatische Länder, darunter auch Indonesien, Burma, Japan und China, und dokumentiert das tägliche Einerlei.

Wie er am Ort seine Modelle findet und castet? "Manchmal sind es Bekannte oder zufällige Begegnungen auf der Straße", sagt Mo. Mit einigen sei er bis heute befreundet: Rajesh aus Mumbai beispielsweise oder Nabankur aus Kolkata. "Ich habe ihn beim Kaffeetrinken bei Starbucks kennengelernt. Er ist dort Manager." Sich selbst wollte er jedoch nie auf eines der Fotos schmuggeln. "Das wäre sicher lustig", sagt er, "aber am Ende würde es nur von meiner Botschaft ablenken: Die Essenz des indischen Alltags aus der Perspektive von Shakti einzufangen."

Schockiert von der Menge der Menschen

Mo sucht oft mehrere Tage nach geeigneten Locations, kehrt dann mit seinem "Shakti" zurück, wenn die Lichtverhältnisse stimmen. Gemeinsam arbeiten sie einen ganzen Nachmittag lang und tauschen sich per Handy aus, um die perfekte Komposition zu finden. "Ich versuche, einen Punkt zu erreichen, an dem man beim ersten Betrachten bereits von der Menge der Menschen im Bild schockiert ist", sagt Mo. "Selbst wenn man Shakti nicht sieht."

Shakti Quiz

Momentan ist Mo auf der Suche nach einem Verlag, der aus seinem Projekt ein Buch machen will. Und er plant weitere "Shakti"-Fotos, unter anderem bei einer Kamel-Messe und einem religiösen Festival. "Ich habe mich in dieses Land verliebt, weil es so vielfältig ist", sagt er. Indien sei so groß, dass es viele verschiedene Dinge gleichzeitig sein könne. "Es gibt mir immer wieder aufs Neue ein Gefühl der Entdeckung", schwärmt er.

Genau wie seine Fotos.

 

 

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