Attacken im Wahlkampf: Thüringes Innenminister Maier: "Die AfD befeuert die Grundaggression dieser Leute"
Anfeindungen und Beschimpfungen: Leider Alltag im Wahlkampf, sagt Thüringens Innenminister Georg Maier. Dass nun ein Politiker krankenhausreif geprügelt wurde, markiere aber eine neue Dimension der Angriffe. Wie konnte es so weit kommen?
Herr Maier, Sie sind Innenminister in Thüringen und SPD-Landeschef. Wurden Sie im Wahlkampf schon einmal angefeindet oder angegriffen?
Verbal angefeindet schon, angegriffen noch nicht. Das ist leider Alltag.
Was meinen Sie genau?
Es kommt vor, dass ich auf offener Straße unvermittelt angesprochen und beschimpft werde. Zum Beispiel, ich wolle Herrn Höcke (dem AfD-Landesvorsitzenden in Thüringen, Anm. d. Red.) die Menschrechte entziehen. Solche Dinge. Natürlich erntet man nicht überall Zustimmung, klar. Aber so aktiv angesprochen zu werden, mit einer Grundaggression, das ist neu.
Der SPD-Europapolitiker Matthias Ecke wurde beim Aufhängen von Wahlplakaten in Dresden krankenhausreif geschlagen. Haben die Angriffe eine neue Dimension erreicht?
Ja, das stellen wir auch in Thüringen fest. Ich erinnere nur an den Brandanschlag auf das Wahlkreisbüro des SPD-Lokalpolitikers Michael Müller im Februar – nur durch Zufall ist nichts Schlimmeres passiert. Regelmäßig werden auch Scheiben der Wahlkreisbüros eingeworfen. Die Fälle häufen sich. Im vergangenen Jahr sind die Zahlen politisch motivierter Kriminalität deutlich gestiegen.
Es ist traurig, dass das gesagt werden muss
Was erwarten Sie für dieses Jahr?
Dass es vermutlich so weitergeht. Allerdings ist eine gewisse Veränderung dabei zu beobachten, welche Parteien besonders betroffen sind. In der Vergangenheit war auch sehr häufig die AfD das Ziel von Angriffen. Diese Zahl nimmt nun ab, während die Fälle bei den demokratischen Parteien – insbesondere bei Grünen und SPD – sehr stark zunehmen.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser fordert mehr Polizeipräsenz für Wahlkämpfer. Sie auch?
Wir müssen prüfen, wo wir die Arbeit der Sicherheitsbehörden und Schutzmaßnahmen noch intensivieren können. Wo gibt es Wahlstände, wo Veranstaltungen – und wie können die geschützt werden? In Thüringen haben wir nach besagtem Brandanschlag den Staatsschutz im Landeskriminalamt personell verstärkt, machen Betroffenen nun unbürokratische Beratungs- und Schutzangebote. So können wir auch 24/7-Polizeischutz anbieten, wenn es notwendig ist.
Was lässt sich kurzfristig verbessern, um den Schutz für Mandatsträger und Ehrenamtliche auszubauen?
Kurzfristig können wir mit mehr Personal mobilisieren, um öffentlich bekannte Wahlkampfveranstaltungen und Versammlungen besser abzusichern. Was wir aber nicht leisten können, ist, dass jeder einzelne Wahlkämpfer beim Aufhängen von Plakaten von Polizisten begleitet wird. Das funktioniert nicht. Wir können daher nur appellieren, nicht allein und nicht in den Abendstunden plakatieren zu gehen, sich vorsichtig zu verhalten. Es ist traurig, dass das gesagt werden muss.
Sind die Zeiten vorbei, in denen Wahlkämpfer sicher plakatieren und an Info-Ständen stehen konnten – oder hat es diese Zeiten eigentlich nie gegeben?
Dass Plakate heruntergerissen werden, beschmiert oder beschädigt: Das hat es schon früher gegeben. Ich kenne das auch. Beim letzten Wahlkampf hatte ich Hakenkreuze und alles Mögliche auf meinen Plakaten…
… nun kommen noch Beschimpfungen, Bedrohungen, Bedrängungen hinzu. Wie erklären Sie sich diese Verrohung?
Das ist dem Erstarken der populistischen Parteien geschuldet, insbesondere natürlich der AfD, aber auch anderer rechtsextremistischer Parteien.
Die Rhetorik der AfD hat zu dieser Entwicklung beigetragen?
Natürlich. Die AfD befeuert die Grundaggression dieser Leute. Das Geschäftsmodell von Populisten, also auch der AfD, ist die gezielte Verächtlichmachung des angeblichen „Systems“ und der „Altparteien“, die an allem schuld seien. Diese Verschwörungserzählung hat während der Corona-Pandemie einen enormen Aufschwung erlebt. Mittlerweile sind wir an einem kritischen Punkt angelangt, weil einzelne sich berufen fühlen, die „Schuldigen“ zur Verantwortung zu ziehen – und zur Tat zu schreiten.
Da sehe ich uns noch nicht. Aber ich sehe uns auf dem Weg dorthin
Die Polizei vermutet bei einem der Täter einen rechtsextremen Hintergrund. Es ist von Weimarer Verhältnissen die Rede, einige fühlen sich an die dunkelsten Stunden der deutschen Geschichte erinnert. Wie bedroht ist unsere Demokratie?
Den Weimarer Vergleich teile ich nicht hundertprozentig. Damals gab es militärische Verbände und regelrechte Saalschlachten. Da sehe ich uns noch nicht. Aber ich sehe uns auf dem Weg dorthin.
Warum?
Das wachsende Gewaltpotenzial erfüllt mich mit Sorge, ebenso die Verrohung des Diskurses. Früher herrschte weitestgehend Konsens darüber, dass Gewalt in der politischen Diskussion nichts zu suchen hat – dieser Konsens scheint bei gewissen Leuten stetig abzuschmelzen. Dagegen müssen wir entschieden vorgehen – und zwar wir alle.
Was meinen Sie?
Die Sicherheitsorgane, ob Polizei oder Verfassungsschutz, können unsere Demokratie nicht allein schützen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deswegen ist es wichtig, dass eine große und breite Mehrheit derzeit so deutlich macht, dass sie dieses Verhalten nicht akzeptiert.
Was raten Sie Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer, die nun in Sorge sind? Wie können diese sich schützen?
Wir machen jeden Morgen innerhalb der Thüringer SPD eine Telefonschalte, wir befinden uns ja gerade im Kommunal- und Europawahlkampf. Ich habe den Genossinnen und Genossen empfohlen, nicht allein und nicht in den Abendstunden unterwegs zu sein – sich also keinem unnötigen Risiko auszusetzen. Es ist ein Armutszeugnis, dass ich so etwas sagen muss. Aber so weit ist es leider schon gekommen.