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Überblick: Deutschland in der Wohnungskrise: Wieso das die AfD stärken könnte

Stern 
Überblick: Deutschland in der Wohnungskrise: Wieso das die AfD stärken könnte

Fast die Hälfte der Deutschen wohnt zur Miete, doch die Kosten steigen immer weiter an – mehr als im EU-Durchschnitt. Ein UN-Vertreter bezeichnete die Wohnungskrise gar als "soziale Frage des 21. Jahrhunderts".

Die neueste Ausgabe der ARD-Talkshow "Hart aber Fair" behandelt die Wohnungsnot in Deutschland. Titel: "Verzweifelt in vier Wänden: Darum wird Wohnen immer teurer". Die Kommentare dazu auf X, vormals Twitter, sind einschlägig: "Seit wir die Grenzen offen haben wie ein Scheunentor, seitdem haben wir Wohnungsnot", heißt es dort zum Beispiel.STERN PAID 16_23 Wohnen Miete Raus aufs Land! 12.30 

Wahr ist: Die Mieten in Deutschland sind gestiegen. Auch fehlen mindestens 800.000 Wohnungen, heißt es in einer Studie des Bauforschungsinstituts Arge. Dass Migranten dafür verantwortlich sein sollen, dafür gibt es keine wissenschaftliche Grundlage. Doch die vielfach kritisierte Wohnungsnot ist Fakt – und Deutschland schneidet in vielen Aspekten schlechter ab als andere EU-Länder. Das zeigt der Wohnungsbericht von Eurostat von 2023.

Hauspreise und Mieten sind gestiegen, zum Teil massiv

Die Preise für Wohnraum – egal ob zur Miete oder Eigentum – unterscheiden sich deutlich in Europa. Mit 69,1 Prozent wohnt die Mehrheit der europäischen Haushalte auf eigenem Grund und Boden. Deutschland ist laut Eurostat das einzige EU-Land, in dem Mieterinnen und Mieter mit 53,5 Prozent in der Mehrheit sind.

Insgesamt sind die Preise in dieser Zeit gestiegen. Im EU-Durchschnitt bezahlten Eigentümerinnen und Eigentümer 2022 ganze 47 Prozent mehr als noch 2010, in Deutschland stieg der Preis sogar um 79 Prozent. Die Mieten stiegen im selben Zeitraum EU-weit um 18 Prozent, in Deutschland um 17 Prozent.

Verschärft wird diese Entwicklung derzeit, weil hierzulande zu wenig gebaut wird. Das lässt die Preise der bestehenden Mietwohnungen weiter steigen. "Es lastet ein immenser Druck auf dem Mietwohnungsmarkt", sagt Jens Tolckmitt, Hauptgeschäftsführer des Verbands deutscher Pfandbriefbanken, der Nachrichtenagentur DPA. "Die Nachfrage übersteigt das Angebot bei Weitem."

Dass das zunehmend zum Problem wird, zeigen die Daten von Eurostat. Ein Viertel der Haushalte in Deutschland müssen mehr als 40 Prozent ihres Nettoeinkommens für die Miete ausgeben. Das trifft einkommensschwache Haushalte und Geringverdienende besonders, wird aber auch für die Mittelschicht zum Problem. Deutschland schneidet damit im EU-Vergleich eher schlecht ab.

Der Wohnungsbau verteuerte sich in den vergangenen Jahren enorm, weil sowohl die Kreditzinsen als auch die eigentlichen Baukosten stark stiegen. Dadurch wurde weniger gebaut. Wer sich den Kauf einer Immobilie nicht leisten kann, bleibt in einer Mietwohnung, was die Nachfrage und damit die Preise nach oben treibt.

Wer unsicher lebt, wählt eher die AfD

Wenige Wochen vor der Wahl des Europäischen Parlaments im Juni könnte diese Problematik rechtspopulistischen Parteien Aufwind verschaffen. Dann könnte sich die Kommentarspalte bei X auf dem Wahlzettel niederschlagen. "Rechtsextreme Parteien gedeihen, wenn sie die sozialen Klüfte ausnutzen können, die durch unzureichende Investitionen und unzureichende staatliche Planung entstehen, und wenn sie Außenstehenden die Schuld geben können", sagt Balakrishnan Rajagopal, der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf angemessenen Wohnraum, der britischen Tageszeitung "Guardian".

In einem Arbeitspapier hat eine Forschergruppe diesen Zusammenhang ebenfalls hergestellt. So fasst Tarik Abou-Chadi, Politikwissenschaftler in Oxford, zusammen: "Personen, die mit steigenden lokalen Mieten konfrontiert sind, unterstützen eher die rechtsradikale AfD." Das Papier zeigt auch: Der Zuspruch für die AfD wuchs nicht nur in ländlichen Gegenden, sondern noch stärker in Städten, wo die Wohnungsnot deutlich spürbar ist.

Auch in anderen Ländern ist die Situation gravierend – in Großbritannien, Portugal oder der Niederlande sind die Menschen massiv von den steigenden Mieten betroffen. Bei den letzten Wahlen in den Niederlanden hat deshalb die rechtsextreme Partei für die Freiheit (PVV) von Geert Wilders massiv profitiert. Denn anders als die AfD, die sich dem Thema bisher nur bedingt annimmt, machte die PVV mit der Wohnungsnot Wahlkampf.

Bisher ist die Ampelkoalition weit von ihrem im Koalitionsvertrag festgehaltenen Ziel entfernt, 400.000 Wohnungen im Jahr zu bauen, davon 100.000 Sozialwohnungen. Wollen die Parteien den Rechtsruck nicht verschärfen, sollte sich das schleunigst ändern.

Quellen:  Eurostat, Guardian, Tarek Abou-Chadi

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