Jenny Erpenbeck: Die international gefeierte deutsche Autorin, die in Deutschland kaum wer kennt
Im Ausland ausgezeichnet und gefeiert, nur in Deutschland fliegt Jenny Erpenbeck noch immer unter dem Radar. Dabei schreibt sie über die deutsche Geschichte wie nur wenige es könnten: persönlich und politisch.
Die deutsche Schriftstellerin Jenny Erpenbeck hat am Dienstag den International Booker Prize – einen der renommiertesten Literaturpreise weltweit – für ihren Roman "Kairos" erhalten. Sie ist die erste Deutsche mit dieser Auszeichnung und war so oft für den Preis nominiert wie kein anderer deutscher Autor. Mit ihr wurde auch erstmals ein Mann als Übersetzer ausgezeichnet. Michael Hofmann übertrug "Kairos" ins Englische.
In dem Roman geht es um eine ungleiche Liebesbeziehung und Machtmissbrauch zwischen einer 19-Jährigen und einem 50 Jahre alten Autor, sowie die letzten Tage der DDR. Sie verwebt Liebe und Politik zu einem, wie die Jury findet, preiswürdigen Epos. In der Begründung heißt es: "Erpenbeck lädt Sie ein, die Verbindung zwischen diesen generationsbestimmenden politischen Entwicklungen und einer verheerenden, sogar brutalen Liebesbeziehung herzustellen und dabei die Natur von Schicksal und Entscheidungsfreiheit in Frage zu stellen." Wie auch im Falle der DDR, beginne das Werk mit Optimismus und Vertrauen und löse sich dann auf.
Jenny Erpenbeck wird für den Literaturnobelpreis gehandelt
Für ein internationales Publikum kommt die Auszeichnung von Jenny Erpenbeck wenig überraschend. Schon vor zwei Monaten schrieb die "New York Times", Erpenbeck sei die wahrscheinlichste Kandidatin für den nächsten Literaturnobelpreis. In Deutschland findet die Autorin hingegen wenig Anerkennung. Den deutschen Buchpreis bekam sie nie. In den Kommentarspalten zur Meldung des Booker Preises heißt es unter anderem: "Dass ich die Autorin bis dato nicht kannte, muss unbedingt korrigiert werden." Wer ist Jenny Erpenbeck, der unbekannte Literatur-Star?
Geboren wurde die Autorin 1967 in Ostberlin als Tochter einer Arabisch-Übersetzerin. Der Vater war Physiker, Philosoph und Schriftsteller. Auch die Großeltern väterlicherseits waren Schriftsteller; und damit schon vieles angelegt, was das Wirken von Erpenbeck beeinflussen sollte: das Schreiben der Familie, das Aufwachsen in der DDR. Vor allem die Kindheit und Jugend in Ostdeutschland spielt in den Texten von Erpenbeck eine wichtige Rolle. Sie verarbeitet, was sie erlebte. So auch in "Kairos".
"Die Freiheit war ja nicht geschenkt. Sie hatte einen Preis, und der Preis war mein gesamtes bisheriges Leben."
In dem ausgezeichneten Roman beschreibt sie den Untergang der DDR als eine Art Verlustgeschichte, einen Abgesang. Aber ohne die DDR dabei romantisch zu verklären. 22 Jahre alt war Erpenbeck, als die Mauer fiel. Bis heute scheint das nachzuhallen. Über ihre eigene Wendeerfahrung soll sie einmal gesagt haben: "Die Freiheit war ja nicht geschenkt. Sie hatte einen Preis, und der Preis war mein gesamtes bisheriges Leben."
Nach dem Abitur machte sie eine Ausbildung zur Buchbinderin, dann ein praktisches Jahr als Requisiteurin am Kleist-Theater in Frankfurt an der Oder und Ankleiderin an der Staatsoper Berlin. Sie studierte Theaterwissenschaft an der Humboldt-Universität und Musiktheater-Regie an der Hanns Eisler-Hochschule in Berlin. Im Anschluss, ab 1997, arbeitete sie als Regisseurin.
Etwa zur gleichen Zeit soll sie mit dem Schreiben begonnen haben. Ihr Vater hatte das Schreiben mit der Wende aufgegeben. Im Jahr 1999 erschien ihr erster Roman mit dem Titel "Geschichte vom alten Kind". 25 Jahre später gilt sie international als die wichtigste deutsche Autorin.
In einem Interview mit dem RBB lieferte Erpenbeck selbst kürzlich eine Antwort auf die Frage danach, warum ihre Werke im Ausland mehr Beachtung finden als in Deutschland. Sie sagte, es gebe in den USA und in England ein "großes Nachdenken" darüber, ob man aus dem Kapitalismus irgendwie rauskomme. "Und es gibt tatsächlich ein großes Interesse daran zu verstehen, woran zum Beispiel diese vermeintliche Alternative DDR gescheitert ist", so Erpenbeck. STERN PAID 36_23 Westermann liest 20.05
In Deutschland stoße die Ost-West-Thematik auf Ablehnung
In Deutschland sei das anders. Hier erlebe sie sogar, dass sich deutsche Leser von der Ost-West-Thematik abgestoßen fühlten. Vor allem im Westen Deutschlands zeige man sich dem Thema überdrüssig. "Es ist auch schwierig in einem Land, wo beide Hälften in das Problem verwickelt sind", sagte Erpenbeck dem RBB, "aber nicht die gleichen Erfahrungen gemacht haben." Von außen auf die Erfahrung zu blicken sei einfacher. Trotzdem betonte die Autorin immer wieder, auch hier in Deutschland Aufmerksamkeit und Anerkennung zu erfahren.
Dass Jenny Erpenbeck als Kandidatin für den Nobelpreis gehandelt werde, ist ihr selbst offenbar eher unangenehm. Sie habe die Befürchtung, sagte sie im Interview, dass sie bis ins hohe Alter mit dem Label "Hoffnung für den Nobelpreis" rumlaufen werde – ohne den Preis jedoch zu bekommen.
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