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EM 2024: Topleistungen wegen der Fans – was ist dran am "12. Mann"?

Stern 
EM 2024: Topleistungen wegen der Fans – was ist dran am

Die türkischen Anhänger sind die lautesten, leidenschaftlichsten und mitreißendsten der EM 2024. Auch sportlich läuft es: Ihr Team steht im Viertelfinale. Hängt das eine mit dem anderen zusammen?

Es gibt ein Lautstärke-Gefälle bei der Fußball-EM 2024. Auf dem Dezibel-Gipfel thronen uneinholbar die türkischen Fans, die ihre Mannschaft so frenetisch nach vorne peitschen, dass die offenbar gar nicht anders kann, als erfolgreich zu sein – am Samstag spielt sie im Viertelfinale gegen die Niederlande. 

Ein ganz anderes Bild: Nach dem dürftigen 1:1 in der Gruppenphase gegen die Schweiz hatte sich der deutsche Bundestrainer Julian Nagelsmann über die verhaltenen Kehlchen der deutschen Zuschauer beklagt. Eine Ausrede? Oder ein Faktor? Welchen Einfluss haben die Fans überhaupt bei einem Fußballspiel?

Deutsche Stimmung EM 12.37

Fabian Wunderlich ist Wissenschaftler am Institut für Trainingswissenschaft und Sportinformatik der Deutschen Sporthochschule in Köln und befasst sich unter anderem mit Sportdaten. Er sagt: "Es ist schon davon auszugehen, dass Zuschauer einen gewissen Einfluss auf das Spiel haben." Er macht das am berüchtigten Heimvorteil fest, der besagt, dass es das gastgebende Team leichter haben wird. Für Wunderlich ist klar: "Der Heimvorteil existiert, das heißt Fußballmannschaften gewinnen im eigenen Stadion vor eigenen Fans häufiger als auswärts. Es gibt wohl kaum einen Effekt im Sport, der so gut belegt ist." 

Das steckt hinter dem Heimvorteil im Fußball

Einen Grund dafür zu finden, ist schwierig, denn dazu müsste man Spielern während der Partie in die Köpfe schauen können. Laut Wunderlich werden verschiedene Faktoren diskutiert. Die Vertrautheit der Umgebung etwa, die Reisestrapazen des Auswärtsteams oder gar die Hormone, die die Fußballer dazu bringen, ihr Territorium verteidigen zu wollen. Aber eben auch die Einflüsse der Fans auf die Profis – und die Schiedsrichter. Die lassen sich laut Wunderlich "bei ihren Entscheidungen in gewissen Situationen womöglich von der Lautstärke der Fans beeinflussen", das hätten Experimente gezeigt. Tatsächlich sehen Auswärtsteams häufiger Rote Karten als die Heimmannschaften. Hinter der Frage, ob das wirklich an den Fans liegt, steht aber ein dickes Fragezeichen.

Denn den Heimvorteil gab es auch bei Spielen in der Corona-Zeit – und da durften zunächst gar keine Fans in die Stadien. Was für Zuschauer am TV wegen der Stille ein Trauerspiel war, entpuppte sich für Wissenschaftler wie Fabian Wunderlich als optimales Anschauungsobjekt, denn die Pandemie "hat uns die Möglichkeit gegeben, die zahlreichen Geisterspiele auszuwerten und auch ohne Zuschauer sind die Heimmannschaften immer noch deutlich erfolgreicher". Jedoch: Der Heimvorteil in leeren Stadien ohne Zuschauer war nicht ganz so stark wie bei Spielen mit Fans.

Wolfsgruß Sperre 14.17

Auch wenn sich die Gründe nicht untersuchen lassen, spricht einiges dafür, dass Fans sehr wohl ein Faktor sein können. Auch der Erfolg der Türkei kann der Beweisführung dienen, die durch die enge Bande mit Deutschland und den vielen türkischstämmigen Deutschen einen kleinen Heimvorteil für sich verbuchen kann. "Wir sehen die Videos, dass die Leute draußen auf der Straße und glücklich sind", sagte der türkische Mittelfeldspieler und Kapitän Hakan Calhanoglu der Deutschen Presse-Agentur. "Wir wollen die Leute weiter glücklich machen." 

EM 2024: Türkische Fans treiben ihr Team an

Allerdings, und das ist die schlechte Nachricht für die Türkei, kann aus dem Heimvorteil auch schnell ein Nachteil werden. Nämlich dann, wenn durch die Erwartungshaltung der frenetischen Fans Erwartungsdruck entsteht, "choking under pressure" ist der Fachbegriff, frei übersetzt bedeutet er so viel wie unter dem Druck versagen. 

Das Phänomen gibt es tatsächlich. Wunderlich erklärt: "In aktueller Forschung konnten wir zum Beispiel nachweisen, dass in Drucksituationen das Risiko erhöht ist, einen Elfmeter zu verschießen." Bayern München kann ein Lied davon singen. 2012 sollte das "Finale Dahoam", das Endspiel der Champions League in der heimischen Arena gegen den FC Chelsea, vom Heimvorteil zum Trauma werden. Die Bayern führten, kassierten den Ausgleich – und verloren im Elfmeterschießen.  

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