Landtagswahlen : Wie Wagenknecht die CDU in die nächste strategische Falle führt
Die CDU eröffnet in Thüringen und Sachsen den Landtagswahlkampf – und steht vor einem neuen Dilemma. Denn ihre zentrale Machtoption ist ausgerechnet die Linke-Abspaltung BSW.
Es war 1990, als Ministerpräsident Bernhard Vogel die Thüringer CDU zu ihrem größten Erfolg führte. 51 Prozent erzielte die Partei bei der Landtagswahl 1999.
Lange her. Seit mittlerweile zehn Jahren wird das Land von der Linken regiert, und Vogel ist jenseits der 90. Dennoch streitet er in seiner Funktion als Ehrenvorsitzender der thüringischen Union unverdrossen dafür, dass die CDU nach der Landtagswahl am 1. September wieder an die Macht gelangt.
Vogel: "Wir können ja nicht alles ausschließen"
Bei einer Regierungsbildung, sagte er dem stern, existiere für seine Partei eine klare Ausgangslage: "Mit der AfD oder der Linken kann es keine Zusammenarbeit geben." Schließlich sei die AfD unter Björn Höcke rechtsextrem. Und die Linke stehe unter dem Sozialisten Bodo Ramelow in der Nachfolge der SED.
Doch was ist mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht? "Die Positionierung zum BSW ist natürlich aus vielen Gründen schwierig", antwortet Vogel. "Aber wir können ja nicht alles ausschließen, wenn wir eine Regierung bilden wollen."
Das BSW verschafft der CDU eine neue Machtoption
Damit hat der Altministerpräsident das neueste Dilemma der Thüringer CDU präzise zusammengefasst. In den Umfragezahlen von infratest-dimap stellt es sich so dar: Die Union liegt mit 23 Prozent hinter der AfD (29 Prozent) knapp vor dem BSW, das auf 21 Prozent kommt – während die Linke unter Ramelow auf 11 Prozent abgestürzt ist.
Die einzige Mehrheitskoalition jenseits von AfD und Linke ist für die Union damit ein CDU-BSW-Bündnis, wobei notfalls die SPD hinzukommen könnte. Ähnlich, wenn auch nicht ganz so prekär, ist die Situation in Sachsen, wo auch am 1. September der Landtag gewählt wird und die regierende CDU bei 29 Prozent steht. Sowohl eine Fortsetzung der Koalition mit SPD und Grünen (beide jeweils 7 Prozent) als auch eine Regierung mit dem BSW (15 Prozent) erscheinen dort möglich.
Abgrenzungsbeschlüsse der CDU führten zur Regierungskrise
Doch auch für die Thüringer CDU bedeuten die Umfragewerte – rein rechnerisch – erst einmal einen Fortschritt. Schließlich besetzen seit der Landtagswahl vor fünf Jahren Linke und AfD die Mehrheit der Sitze im Landtag, womit die CDU keine einzige Machtoption besitzt. Denn es gibt ja die vom Parteitag beschlossene Äquidistanz zu beiden Parteien.
Diese komplizierte Gemengelage war es, die Thüringen im Februar 2020 in die Regierungskrise geführt hatte: Damals stellte sich Ramelow trotz der verlorenen rot-rot-grünen Mehrheit im Landtag der Wahl zum Ministerpräsidenten, während CDU und FDP lieber Thomas Kemmerich wählten. Da die AfD, die mit einem Scheinkandidaten operierte, insgeheim auch für den FDP-Landeschef stimmte, gab es einen neuen Regierungschef ohne Regierung, der rasch zurücktrat.
Lange sah es danach aus, als könnte die CDU auch im Herbst 2024 vor einer ähnlichen Situation stehen – bis Wagenknecht ihre neue Partei gründete. Die Werte der Linke halbierten sich, die AfD verlor immerhin sieben Prozentpunkte.
Alleinregierungspläne der AfD haben sich vorerst erledigt
Damit hat das BSW die Ausgangslage für die Wahlen in Thüringen, aber auch in Sachsen und Brandenburg stark verändert. Die CDU besitzt eine neue Machtoption, derweil sich die Alleinregierungspläne der AfD vorerst erledigt haben. Aber kann die CDU sich wirklich verbünden mit einer Linke-Abspaltung, die populistisch bis demagogisch auftritt und nicht nur in der Außenpolitik eine Mischung aus alter PDS-Folklore und AfD-Propaganda vertritt?
Unmittelbar nach der Europawahl hatte der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz auf die Frage, ob seine Partei mit der CDU zusammenarbeiten sollte, noch eine deutliche Antwort gegeben. "Das ist völlig klar", sagte er. "Wir arbeiten mit solchen rechtsextremen und linksextremen Parteien nicht zusammen." Wenige Tage später relativierte Merz auf Druck der ostdeutschen Landesverbände seine Pauschalabsage. Er habe nur für die Bundesebene gesprochen, sagte er. Die Landesverbände entschieden selbstständig.
Kommunikatives Mäandern hat Strategie
Ähnlich formulierte es Merz zuletzt im Sommerinterview der ARD in Bezug auf mögliche Koalitionen mit dem BSW: "Wenn es den Grundsätzen der Partei, der CDU, entspricht, wenn es nicht gegen Parteitagsbeschlüsse von uns verstößt, dann haben diese Landesparteien das Recht, eine solche Entscheidung zu treffen."
Das kommunikative Mäandern hat Strategie. Einerseits kritisiert die CDU die Wagenknecht-Partei als "Black Box", "Gemischtwarenladen" oder "Medien-Phänomen". Andererseits sagte der Thüringer Unionschef Mario Voigt dem stern schon im Juni, dass er die regionale BSW-Spitzenkandidatin Katja Wolf "als pragmatische Kommunalpolitikerin" wahrnehme: "Von ihr und aus dem Thüringer BSW höre ich mehr Vernünftiges als von Linken und Grünen, insbesondere in der Migrations- und in der Bildungspolitik.“
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Ansonsten versucht die CDU, so wenig wie möglich über das BSW zu reden. Wenn Voigt an diesem Donnerstagabend im sächsischen Meerane gemeinsam mit Merz und dem sächsischen CDU-Ministerpräsidenten Michael Kretschmer den offiziellen Wahlkampfauftakt absolviert, dürfte niemand von potenziellen Koalitionen sprechen. Vielmehr wird das bisherige Mantra zu hören sein: Die Union müsse möglichst stark werden.
Doch die Fragen bleiben. Was passiert zum Beispiel, wenn das BSW zumindest in Thüringen stärker als die CDU werden sollte?
Wagenknecht gab schon mal eine deutlich Antwort. Natürlich, sagte sie der "Magdeburger Volksstimme", werde dann Wolf den Regierungsvorsitz beanspruchen. Gleichzeitig stellte sie einen direkten Bezug zu Sachsen her, wo möglicherweise Kretschmer auf Stimmen des BSW angewiesen sein könnte.
08: Wagenknecht erwartet Kooperation der CDU nach Landtagswahlen - ced0eadc74c09c3d
"Wenn die CDU in einem Bundesland möchte, dass wir ihren Ministerpräsidenten wählen, kann sie sich nicht in einem anderen weigern, uns zu unterstützen, sollten wir vor ihr liegen", sagte die BSW-Chefin. Es gebe ja schließlich "Regeln in einer Demokratie".
Und so sitzt die CDU mal wieder in einer Falle. Entsprechend unwirsch reagierte Voigt in der "FAZ" auf Wagenknecht. "Wir Thüringer halten von solchen Hinterzimmer-Deals gar nichts", sagte er. "Wir entscheiden schon selbst und sonst niemand."
Wagenknechts eigentliches Ziel ist die Bundestagswahl
Wagenknechts Ansagen zielen aber nicht nur darauf, die CDU in die Defensive zu bringen. Sie sollen auch den Preis für eine Koalition des BSW erhöhen. Denn das eigentliche Ziel der Parteivorsitzenden ist die Bundestagswahl im September 2025 – und da stellen Regierungsbeteiligungen in den Ländern eine Gefahr da. Die in Erfurt oder auch Dresden nötigen Koalitionskompromisse würden automatisch in Konflikt mit Wagenknechts fundamentaloppositionellem Kurs in Berlin geraten. Das Image des BSW wäre lädiert.
Am Ende wird sich die neue Partei aber kaum der Verantwortung verweigern können, zumal Wolf tatsächlich als Realpolitikerin bekannt ist. Das aktuell in Erfurt debattierte Szenario geht deshalb so: Im Zweifel würde Wolf selbst als Vertreterin der stärksten Regierungspartei auf die Staatskanzlei verzichten. Die Bedingung: Auch Voigt dürfte nicht Ministerpräsident werden.
Stattdessen müsste dann ein unabhängiger Kandidat ran.