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Pro & Contra: Ferienzeit in der Stadt: herrlich leer oder einfach öde?

Stern 

Es beginnt immer am ersten Sommerwochenende nach den Zeugnissen: Plötzlich verwaisen Städte, Plätze, Parks. Für die einen ist es eine Zeit, die niemals enden dürfte. Für andere ein Grund, das Land zu verlassen.

Ein Loblied auf die Leere – auch die im Kopf

Für stern-Redakteur Oliver vom Hofe gibt es nichts Schöneres, als eine zur Ferienzeit leer gefegte Stadt.Hier erklärt er, warum.

Sommerzeit hat nichts zu tun mit Zeitumstellung und Sonnenstand. Die wahre Sommerzeit beginnt jedes Jahr mit der Zeugnisvergabe, genauer: am Samstag danach, wenn sich Millionen Städter im Stau auf der Autobahn treffen, um gemeinsam nicht in den Urlaub zu starten. Plötzlich sind die Städte dann – leer. Leere Lokale, Straßen, Bürgersteige, Plätze, Wiesen, Bänke. Und meine Tage haben auf einmal nicht mehr 24 Stunden, sondern wie gestern 25 Stunden und 26 Minuten. Ich habe nachgezählt.

Der Grund ist eine tiefe Leere, die über meinen Kiez hineinbricht – sozial, aber auch geistig. Ich lebe im Hamburger Stadtteil Ottensen, sehr grün (botanisch wie politisch), ein Ausgehviertel mit Cafés, Kneipen, Bars, das immer Leute anlockt. Das heißt üblicherweise: Schlange stehen. Bei der Eisverkäuferin (im Schnitt 30 Meter, macht 20 Minuten), bei meinem Fair-Trade-Kaffeeausschank (7 Meter, aber nur eine Espressomaschine, also 15 Minuten), bei meinem Friseur (null Meter, aber Termin erst in vier Wochen). Sogar das Niederlassen auf einer Parkbank braucht wegen Überfüllung einen Vorlauf von 45 Minuten, denn wer erstmal einen Sonnenplatz gefunden hat, rückt ihn erst nach Verbrennungen dritten Grades wieder raus, so viel Entspannung muss sein. Ich weiß, dass dies von Berlin bis Bamberg genauso ist.

Der Tag hat 25 Stunden und 26 Minuten

Sechs Wochen im Jahr aber stellt sich die Welt ganz anders dar, einladend und zugetan. Man bekommt das Kleingeld gar nicht mehr schnell genug aus der Hosentasche, weil man bis zur Kasse durchmarschieren kann, sogar die Warteschlangen in den Supermärkten verwandeln sich in Spazierwege. Tatsächlich habe ich aufgrund der Zeitersparnis allein gestern 86 Minuten länger in der Sonne gesessen, ohne irgendeine andere Aktivität dafür canceln zu müssen.

Es sind aber nicht nur die herrliche Leere und die geschenkte Zeit, hinzu kommt die Hitze. Sie verhindert bei meinen Mitmenschen und mir unnötige Gedanken, überflüssige Bewegungen, und ich liebe das schmatzende Geräusch, wenn mein Hund beim Gassigehen seine Pfoten aus dem weichen Asphalt zieht. Das dauert dann zwar länger, aber es ist ja Zeit.

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Verirrte Seelen auf Flucht vor der Ruhe

Alles schön und gut, widerspricht stern-Redakteurin Cathin Wissmann. Sie fühlt sich erst dann am richtigen Ort, wenn sie sich mit anderen um die letzte freie Liege oder eine Parkbank streitet.

Es war schon vor einigen Jahren, mal wieder Sommerferien, das Leben in der Stadt fühlte sich an wie mumifiziert. Um allem zu entkommen, überraschte ich meinen Mann mit einem Tagesausflug nach Helgoland. Unseren Kurztrip stellte ich mir romantisch vor: mit dem Katamaran über die Elbe schippern, mit Kurs auf Deutschlands einzige Hochseeinsel. Ich sah uns Hand in Hand über das Eiland schlendern, vorbei an hübsch-bunten Häuschen, mit zerzausten Haaren vom pfeifenden Wind. 

Während meine Heimatstadt Hamburg und der Rest Deutschlands selig vor sich hindämmerte, wollte ich etwas erleben, wenn nicht schon zu Hause, dann auf Helgoland. Was ich nicht bedacht hatte: Mit dem gleichen Versprechen nach etwas Leben locken auch Kaffeefahrt-Betreiber aus ganz Deutschland Rentner auf die Insel. Heizdecke inklusive.

Sogar Helgoland ist in den Ferien tot

Was eigentlich als Flucht vor dem leeren Feriengefühl gedacht war, wurde zur Intensiv-Kur. Selten habe ich mich so jung gefühlt – aber auch so deplatziert. Schon auf dem Schiff merkte ich, dass wir mit Abstand die Jüngsten waren. "Guck mal, Herbert, auch junge Leute wollen jetzt nach Helgoland!", hörte ich ein Pärchen sagen, das uns beobachtete. Auf der Insel zeigte sich ein ähnliches Bild: Überall schoben sich Rentner in bunten Outdoorjacken über die schmalen Pfade, dazwischen zwei verirrte Seelen. Ja, es war sehr ruhig. Wie in der Stadt.

Natürlich habe ich nichts gegen ältere Menschen. Doch hätte ich mich gerne genauso pudelwohl gefühlt wie sie sich unter ihresgleichen. Wie sehr mich der Trip von damals geprägt hat, merke ich heute noch, wenn die Stadt zu langweilig wird und ich nach Abwechslung suche. Mittlerweile hat es sich zu einer regelrechten Phobie entwickelt, ich nenne es das "Helgoland-Syndrom". Eine Krankheit, die es natürlich nicht gibt, aber für mich alles verkörpert, was ich nicht will: da sein, wo in meinem Alter niemand ist.

Wo kein Platz frei ist, bin ich richtig

Nie käme ich deshalb auf die Idee, mich im Sommer über Wartelisten für Restaurants oder lange Schlangen vor Eisdielen aufzuregen. Ich mag es sogar, dass Hamburg im Sommer manchenorts von Touristen überrannt wird. Sie übertünchen, wie leer die Stadt gerade in der Ferienzeit ist – und dass viele längst am Strand liegen, während ich noch arbeiten muss. Erst wenn ich mich selbst um die letzte freie Liege oder eine Parkbank streite, weiß ich: Ich bin genau am richtigen Ort! 

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