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Vereitelter Anschlag in Wien: Terrorgefahr: "Das kann jederzeit auch hier passieren"

Stern 

Die islamistische Terrorgefahr steigt, sagt Experte Guido Steinberg. Hier erklärt er, wer die potenziellen Attentäter sind und wie sich Deutschland schützen kann.

Herr Steinberg, zwei Jugendliche sollen, mutmaßlich aus islamistischem Motiv, einen Anschlag auf ein Konzert des US-Superstars Taylor Swift in Wien geplant haben. Ein Einzelfall? 
Nein, der Anschlagsplan ist Teil einer längerfristigen Entwicklung in ganz Europa. Die Gefahr ist in den vergangenen beiden Jahren deutlich gestiegen, die Zahl der ernsthaften, weit fortgeschrittenen Terrorplanungen hat zugenommen. Denken Sie nur an den geplanten Anschlag auf den Kölner Dom aus dem vergangenen Dezember. Glücklicherweise konnten hierzulande bisher alle Pläne in den vergangenen Jahren vereitelt werden.

Bio Guido Steinberg

Woran liegt die erhöhte Gefahr in Europa?
Das liegt vor allem am Erstarken einer Terrororganisation: Dem IS-Khorasan, ein Ableger des Islamischen Staats in Afghanistan – das bei den Dschihadisten "Khorasan" heißt. 

Diese Gruppe soll auch hinter den Anschlägen in Moskau im März stecken. Mehr als 140 Menschen starben, als Bewaffnete in einer Konzerthalle um sich schossen. 
Genau, der IS-Khorasan hat zunächst in Afghanistan Attentate verübt, sich dann aber ausgebreitet, nach Pakistan, in den Iran und schließlich nach Moskau. Seit Jahren wirbt die Organisation über das Internet auch Anhänger für Attentate in Europa an.

Wer sind die potenziellen Attentäter?
Früher hat der IS gezielt Attentäter nach Europa eingeschleust. Seit 2015 gibt es das nicht mehr, zumindest nicht in großem Ausmaß. Die Terrorgruppe hat ihre Strategie geändert: Sie setzt jetzt vor allem auf angeleitete Anschläge und rekrutiert Attentäter über den Messengerdienst Telegram. Dann macht sie sie fit für Anschläge.

Der IS rekrutiert Attentäter über den Messengerdienst Telegram

Die meisten Angeworbenen haben einen Migrationshintergrund. Sie stammen aus Zentralasien, dem Kaukasus, aber auch aus dem Balkan und sind oft seit 2015 eingewandert. Oftmals sind es ganz junge Leute, wie jetzt in Wien. Die beiden Verdächtigen sind 19 und 17 Jahre alt. 

Der 19-jährige Hauptverdächtige hat nordmazedonische Wurzeln. Er soll sich im Internet radikalisiert und einen Treueschwur auf den IS-Anführer geleistet haben. 
Dieser Treueschwur ist ein deutliches Indiz dafür, dass wir es hier tatsächlich mit dem IS oder dem IS-Khorasan zu tun haben könnten. Denn der IS verlangt von seinen Attentätern, vorab ein Video aufzunehmen, in dem sie Gefolgschaft schwören.

STERN PAID 31_24 Die Heimat der Attentäter 06.08

Eigentlich schien der Islamische Staat nach 2019 besiegt. Haben wir die Gefahr durch islamistischen Terror in Deutschland in der Folge vernachlässigt?
In Fachkreisen ist seit 2019 bekannt, dass der IS-Khorasan Attentate in der westlichen Welt verüben möchte. Die USA haben den Islamischen Staat in Afghanistan bekämpft und auch vorübergehend geschwächt. Aber durch den Abzug der US-Truppen im August 2021 konnte der IS wieder erstarken. Besonders gefährlich ist für uns, dass unter den Dschihadisten in Afghanistan traditionell viele Zentralasiaten – Tadschiken, Usbeken, Kirgisen – kämpfen und sie im IS-Khorasan ganz stark vertreten sind. Das ist nun auch ein Problem für uns in Westeuropa.

Wir brauchen Grenzkontrollen, die ihren Namen verdienen

Das müssen Sie erklären.
Das liegt vor allem daran, dass viele Zentralasiaten und Kaukasier einfach über den Landweg nach Deutschland einreisen konnten. Die verschärfte Sicherheitslage hat mit unkontrollierter Migration zu tun. Der Rekrutierungspool für islamistische Terrororganisationen ist in Europa seit 2015 deutlich gewachsen, weil Europa – und Deutschland und Österreich im Besonderen – überhaupt nicht mehr kontrollieren, wer einreist.

Also müssen wir die Grenzen schließen?
Nein, aber wir brauchen zumindest Grenzkontrollen, die ihren Namen verdienen, um zu wissen, wer ins Land kommt. Und um dafür zu sorgen, dass Menschen, die offenkundig gefährlich werden können, gar nicht erst ins Land kommen. Wenn sich die Sicherheitslage so entwickelt wie bisher, dann müssen weitere Schritte folgen.

Livestream PK Taylor Swift Absage Wien 12.46

Müssen wir mit Anschlägen in Deutschland rechnen?
Ich sehe keinen Unterschied zwischen einem Anschlag in Wien oder in Paris oder in Berlin. Gerade mit Österreich haben wir eine gemeinsame Gefährdungslage. Was dort passiert, kann jederzeit auch hier in Deutschland passieren. In beiden Ländern planen Gruppen des IS-Khorasan Anschläge, für sie spielt die österreichisch-deutsche Grenze keine Rolle. Die Terrorverdächtigen im Zusammenhang mit dem Kölner Dom, eine Gruppe von Tadschiken, hatte ja auch Anschläge auf den Wiener Stephansdom geplant.

Wie kann sich Deutschland davor schützen?
Die vollkommen unkontrollierte, massenhafte Zuwanderung aus den genannten Ländern und auch aus Syrien und Afghanistan ist ein Problem – nicht nur, aber vor allem sicherheitspolitisch. Deshalb geht es auch darum, Migration zu begrenzen. Wir müssen aber kurzfristig unsere Polizei und vor allem unsere Nachrichtendienste stärken. Das ist eine schwierige politische Entscheidung, denn sie würde unter anderem eine massive Ausweitung der Kommunikationsüberwachung beinhalten. Doch derzeit sind wir bei der Terrorabwehr zu sehr von den USA abhängig. 

Inwiefern?
Fast alle Hinweise auf bevorstehende Anschläge kommen von US-Geheimdiensten. Das ist fahrlässig, weil wir nicht wissen, ob die USA dies auch in Zukunft so halten werden. Früher oder später wird die Bevölkerung von der Politik Antworten auf die verschärfte Sicherheitslage fordern.

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