Meinung: Donald Trump steht über dem Gesetz – die amerikanische Justiz hat versagt
Nächste Woche sollte Trump sein Strafmaß im Schweigegeldprozess erfahren. Der Richter strich den Termin, Trump könnte straffrei davonkommen. Der Rechtsstaat kapituliert.
Schuldig.
34 Mal hatte Donald Trump dieses Wort Ende Mai in Raum 1530 im 15. Stockwerk eines New Yorker Gerichtsgebäudes gehört. Die Jury befand ihn in allen Anklagepunkten für schuldig. Erstmals in der Geschichte war ein früherer US-Präsident in einem Strafprozess verurteilt worden. Nächste Woche sollte Trump sein Strafmaß erfahren – doch daraus wird nichts.
Der zuständige Richter Juan Merchan hat den Termin für die Urteilsverkündung gestrichen. Im Dezember soll stattdessen darüber verhandelt werden, ob Trump im sogenannten Schweigegeldprozess nun Immunität genießt. Niemand steht über dem Gesetz? Von wegen, Donald Trump sehr wohl.
Die einstige Schweigegeldzahlung an die frühere Pornodarstellerin Stormy Daniels war zwar nicht illegal. Dass Trump aber ab 2017 das Geld an seinen früheren Anwalt Michael Cohen, der die Zahlung vorgestreckt hatte, als reguläre Anwaltskosten zurückzahlte, brachte Trump in Bedrängnis. Die Jury war überzeugt, dass er die Zahlung bewusst verschleiert hatte, um sich in der Präsidentschaftswahl vor acht Jahren einen Vorteil zu verschaffen. Nach New Yorker Recht ist das ein Verbrechen.
War Trump immun, als er das Schweigegeld nachträglich bezahlte?
Doch der wiedergewählte Präsident könnte nun ohne Strafe davonkommen. Vielleicht wird das Urteil sogar ganz aufgehoben. Trumps Anwälte werden argumentieren, die Rückzahlung sei in die Zeit seiner Präsidentschaft gefallen, weshalb er gar nicht belangt werden dürfte.
Der Supreme Court in Washington hatte in diesem Jahr ein wegweisendes Urteil gefällt, welches Präsidenten in ihrer Amtszeit mit einer so großen Macht ausstattet, dass die liberalen Richter im Gerichtshof Alarm schlugen. US-Präsidenten würden nach diesem Urteil zu "Königen über dem Gesetz" werden, warnte Sonia Sotomayor, die der konservativen Mehrheit widersprach. Genau das zeichnet sich jetzt für Trump in New York ab.
Die Justiz hat mit den Prozessen gegen Trump zu lange gewartet
Zu Jahresbeginn liefen vier Verfahren gegen Donald Trump. Eine Anklage in Florida, bei der es um Geheimnisverrat ging, hat eine von Trump ernannte Richterin bereits eingestellt. Das Verfahren in Washington, bei dem sich Trump dafür verantworten sollte, dass er die Wahl 2020 aushebeln wollte, wird gerade abgewickelt. Ob das Verfahren in Georgia, bei dem es ebenfalls um die Wahl vor vier Jahren gehen sollte, noch eine Zukunft hat, ist derzeit offen – vermutlich hat es die eher nicht.
Die amerikanische Justiz hat versagt. Sie hat zu lange gewartet, um Trump vor Gericht zu stellen. Natürlich hätte für die Verfahren in Florida und Washington die Unschuldsvermutung gegolten. Aber dass die Anklagen nun einfach in der Schublade verschwinden, ist eine schwere Bürde für den amerikanischen Rechtsstaat – mehr noch, er wird massiv beschädigt.
Ein gefährlicher Präzedenzfall
Trump hat einen gefährlichen Präzedenzfall geschaffen. Der mächtigste Mann der Welt kann nicht nur Wahlen manipulieren, sondern auch Staatsgeheimnisse gegenüber Unbefugten ausplaudern und sogar eine Verschwörung anführen, um eine rechtsstaatliche Wahl zu kippen.
In weniger als zwei Monaten wird Trump seine zweite Amtszeit beginnen. Er weiß jetzt, dass er vier Jahre im Prinzip alles tun und lassen kann, was er möchte – kein amerikanisches Gericht wird ihn belangen, falls er eine Straftat begeht.
Einen Hauch von Resthoffnung auf die Justiz gibt es aber noch.
Juan Merchan, der Richter aus New York, könnte entscheiden, dass Trump keine Immunität genießt und eine Urteilsverkündung für den 21. Januar 2029 ansetzen – den Tag, an dem Trumps nächste Amtszeit vorbei sein wird. Es wäre ein kleines Zeichen, dass sich der Rechtsstaat nicht selbst aufgegeben hat.