Anspannung steigt an Wahltag in Venezuela

Stern 
Anspannung steigt an Wahltag in Venezuela

In angespannter Atmosphäre haben die Menschen in Venezuela am Sonntag einen neuen Präsidenten gewählt. Rund 21 Millionen Wahlberechtigte waren bei dem Urnengang in dem südamerikanischen Land aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Der Chef der Wahlbehörde CNE griff am Wahltag den Oppositionskandidaten Edmundo González Urrutia an, dem Umfragen einen Sieg über den seit 2013 autoritär regierenden Staatschef Nicolás Maduro voraussagen. Der Amtsinhaber erklärte indes, er werde dafür sorgen, dass das Ergebnis der Wahl respektiert werde.

Maduro bewirbt sich um eine dritte Amtszeit von sechs Jahren. Der 61-jährige bekennende Marxist ist wegen der Wirtschaftskrise im Land bei vielen Wählern unbeliebt. Die Umfragen prognostizierten einen Sieg des 74-jährigen Oppositionspolitikers González Urrutia. Regierungsgegner und Experten fürchten allerdings, dass Maduro einen Wahlsieg seines Herausforderers nicht anerkennen würde.

Am Morgen sagte Maduro bei seiner Stimmabgabe in der Hauptstadt Caracas: "Ich werde die Wahlleitung anerkennen, das offizielle Ergebnis, und ich werde dafür sorgen, dass sie respektiert werden." Zugleich forderte er alle anderen Kandidaten für das Präsidentenamt auf, öffentlich zu erklären, dass auch sie das von den Wahlbehörden veröffentlichte offizielle Ergebnis anerkennen würden.

Der Chef der Wahlbehörde CNE, Elvis Amoroso, bezeichnete die Opposition am Sonntag vor Reportern als "Feinde Venezuelas" und sagte, dass ihr Kandidat "die Verfassung ablehnt". 

Maduros Machtapparat in Venezuela stützt sich unter anderem auf das Militär und die Polizei. Vor dem Urnengang hatte er mehrfach gesagt, er werde die Macht im Falle einer Wahlniederlage nicht abgeben. Unter anderem hatte er in der vergangenen Woche für den Fall einer Niederlage mit einem "Blutbad" gedroht. Wenige Tage danach, am 20. Juli, erklärte er dann, nur er könne "Frieden und Stabilität" für Venezuela garantieren. "Die Zukunft Venezuelas für die nächsten 50 Jahre wird am 28. Juli entschieden, zwischen einem Venezuela des Friedens oder der Gewalt", hatte er gesagt. 

"Wir sind bereit, jede einzelne Stimme zu verteidigen", sagte unterdessen Herausforderer Gonzáles Urrutia am Sonntag nach seiner Stimmabgabe in Caracas. "Wir vertrauen unseren Streitkräften, dass sie die Entscheidung unseres Volkes respektieren."

Gemäß den meisten Umfragen kann Maduro nur mit etwas mehr als 30 Prozent der Stimmen rechnen, während dem früheren Diplomaten González Urrutia zwischen 50 und 70 Prozent der Stimmen zugetraut werden. Andere Bewerber um das Präsidentenamt gelten als chancenlos.

Die Wahllokale sollten um 18.00 Uhr schließen, angesichts langer Schlangen könnten sie aber länger geöffnet bleiben. Erste Ergebnisse wurden in der Nacht zum Montag erwartet. 

"Ich bin seit 4.30 Uhr morgens hier und hoffe, dass es ein erfolgreicher Tag wird und Edmundo González Urrutia triumphiert", sagte die 54-jährige Anwältin Giselda Barroso. Sie hoffe, dass es in Venezuela "Demokratie geben wird". Die 83-jährige María de Rivero gab sich hingegen als stolze Maduro-Anhängerin aus. Mit ihm werde sich alles verbessern.

Im ölreichen Bundesstaat Zulia gab eine Studentin an, dass die Machthaber Stimmenkauf betreiben würden: Die Maduro-Wähler hätten nach der Stimmabgabe Lebensmittelhilfe erhalten.

US-Außenminister Antony Blinken rief alle Seiten auf, den "demokratischen Ablauf" bei der Wahl zu respektieren. "Das venezolanische Volk verdient eine Wahl, die wirklich seinen Willen widerspiegelt und frei von jeglicher Manipulation ist", sagte Blinken. Die internationale Gemeinschaft werde dies "sehr genau beobachten".

Maduros Wahl im Jahr 2018 war von den meisten westlichen Ländern nicht anerkannt worden, in der Folge wurden Sanktionen gegen Venezuela verhängt. Dem Präsidenten wird vorgeworfen, die Opposition im Land zu unterdrücken. So wurde der Oppositionspolitikerin María Corina Machado wegen angeblicher Korruption eine Präsidentschaftskandidatur untersagt. Dabei hatten sich Maduros Regierung und die Opposition im vergangenen Jahr darauf verständigt, für eine freie und faire Wahl 2024 zu sorgen.

Viele Venezolaner machen den Staatschef für die Wirtschaftskrise und Hyperinflation im ölreichen Venezuela verantwortlich. Das Land war einst der größte Ölproduzent Südamerikas: 2008 wurden täglich 3,5 Millionen Barrel Rohöl gefördert. 

Durch Missmanagement, den Verfall des Ölpreises und die US-Sanktionen sank die Fördermenge bis 2020 auf unter 400.000 Barrel, bis sie vergangenen Monat wieder auf etwa eine Million Barrel stieg. Das Bruttoinlandsprodukt Venezuelas schrumpfte binnen zehn Jahren um 80 Prozent und die Hyperinflation machte die Landeswährung Bolivar praktisch wertlos.

Etwa jeder vierte Venezolaner ist vor der wirtschaftlichen und politischen Krise in ihrer Heimat geflohen. Viele wanderten in andere lateinamerikanische Staaten aus, einige wagten die gefährliche Reise in die USA. Wieder andere versuchten, in Europa und Asien Fuß zu fassen. 

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