Unbeliebte Regierung: Die Ampel kann Deutschland noch dienen – indem sie abtritt

Stern 

Würden Neuwahlen im Bund alles besser machen? Wahrscheinlich nicht. Doch wenn die Regierung noch länger im Amt bleibt, schadet sie sich selbst. Vor allem aber Deutschland. 

Kevin Kühnert hat gerade den vielleicht undankbarsten Job Deutschlands: Er muss als SPD-Generalsekretär die Wahlergebnisse der Partei erklären. Nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen mussten die Sozialdemokraten allerdings schon froh sein, es jeweils knapp über die Fünf-Prozent-Hürde geschafft zu haben. 

Deshalb stellten sich nicht nur Fragen nach dem Kanzler und der SPD, sondern sondern auch nach der Ampel-Regierung in Berlin. Wie es mit ihr weiter gehe, wollte ZDF-Moderatorin Bettina Schausten von Kühnert wissen. Der Generalsekretär hätte nun die Koalition stärken, über ein besseres Miteinander reden können. Er sprach aber nicht über Verbindendes, sondern lieber darüber, was sich seine Partei nicht mehr bieten lassen werde von Partnern, die nicht einmal im Parlament gelandet seien (die FDP rangierte mit rund einem Prozent der Stimmen in beiden Bundesländern unter den sonstigen Parteien). Und dass seine SPD auch mal die Körperhaltung straffen und entsprechend selbstbewusster auftreten müsse. 

So seltsam klangen Kühnerts Worte, dass die Moderatorin lieber nachhorchte: Ob das gerade eine Aus-Erklärung an die Ampel gewesen sei? Kühnert beteuerte, nein, natürlich nicht, sonst hätte er ja Fernsehgeschichte geschrieben. 

Wobei, Geschichte schreiben, warum eigentlich nicht? Die Ampel schreibt ja gerade schon Geschichte als die wohl unbeliebteste (und undisziplinierteste) Koalition aller Zeiten. Die SPD schreibt längst Geschichte als Kanzlerpartei, die sich am konsequentesten von Kanzler-Umfragewerten verabschiedet. 

Und die Ampel könnte durchaus noch Geschichte besonderer Art schreiben: indem sie Einsicht zeigt und sich selber abknipst. Blitzanalyse Thüringen Sachsen 1940

Nach den Landtagswahlen: Warum sich die Ampel nicht mehr retten lässt

Denn diese Ampel lässt sich nicht mehr retten. Ihre Spitzen trauen sich nicht einmal, mit ihr offen in den nächsten Kampf zu ziehen, aus Angst, die Chronik eines angekündigten Untergangs zu schreiben. Als Grünen-Chef Omid Nouripor am Sonntag über die Ampel sprach, klang er wie ein Grabredner. Viele Menschen hätten nun Angst, sagte er. Er meinte Menschen in Sachsen und Thüringen, die sich vor Extremisten sorgten. Aber viele Menschen in Deutschland haben eben auch Angst, dass die Ampel einfach so weiter macht.

Es gäbe Auswege, das Parteientrio müsste nicht zusammenbleiben. Die SPD könnte ihren höchst unpopulären Kanzler Olaf Scholz durch den höchst populären Minister Boris Pistorius ersetzen, so dass es zwar keine neue Koalition, aber einen neuen Kanzler gäbe. Scholz könnte aber auch den Weg zu Neuwahlen freimachen, indem er im Bundestag die Vertrauensfrage stellt und diese (absichtlich oder tatsächlich) verliert. Dass der Bundespräsident in der aktuellen Lage dann Neuwahlen blockieren würde? Eher unwahrscheinlich. 

Natürlich wird all dies nicht passieren. Olaf Scholz ist von seiner Kanzler-Eignung derart unbeirrt überzeugt, dass selbst Joe Biden sich von ihm einiges hätte abgucken können. Anders als in den USA traut sich in der SPD aber bislang niemand auszusprechen, was offenkundig ist: Dass ganz viele Deutsche Scholz nicht (mehr) für geeignet halten. Scholz hat ja nicht einmal die letzte Bundestagswahl gewonnen, sondern seine Rivalen (Armin Laschet und Annalena Baerbock) diese verloren. Daraus leiten er und sein Umfeld dennoch die Gewissheit ab, über einen Zaubertrank zu verfügen, der Scholz in jedem Fall im Kanzleramt halten werde. Kommentar Medick

Historischer Respektverlust der Regierung

Was wir also stattdessen erleben werden: Ein letztes verlorenes Ampel-Jahr, das zu einem weiteren historischen Respektverlust dieser Regierung führen wird. Wir werden eine weitere Zerfaserung unseres Parteiensystems sehen, das im Vergleich zu anderen europäischen Ländern erstaunlich lange erstaunlich stabil geblieben war. 

Der Aufstieg des BSW von Sahra Wagenknecht mit seiner seltsamen Mischung aus Links- und Rechtspopulismus zeigt: Wie bei einem Hufeisen neigen die Extreme von Links und Rechts einander zu, die Ränder nehmen die Mitte in die Zange. Dies geschieht mitten in einer Zeit, in der Deutschland die vielleicht größte Transformation seiner Energiepolitik, seines Geschäftsmodells, seiner weltpolitischen Rolle bewältigen muss. Zeitenwenden überall, nur nicht in der Ampel. 

Gerade erst hat eine Forsa-Umfrage im Auftrag des stern ergeben, wie wenige Deutsche überzeugt sind, dass es unter einer CDU/CSU-Führung besser wäre. Damit beweisen die Bürgerinnen und Bürger ein gutes Gespür. Die Union hat in 16 Jahren Regierung viele der Probleme erst geschaffen oder ignoriert, an denen die Ampel nun scheitert. Friedrich Merz bleibt ein mäßig populärer Kanzlerkandidat. CDU-Politiker wie Jens Spahn sind zu ihren Corona-Versäumnissen sehr leise, stellen dafür aber in der Migrationsdebatte so laut Forderungen auf, dass sie von Populisten nur marginal unterscheidbar sind. 

Dennoch: Die Bürgerinnen und Bürger wissen auch genau, dass sie diese Ampel in dieser Form nicht mehr wollen. Wie viel deutlicher sollen sie das noch sagen?  

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