Social-Media-Hit: Ein Hauch von Sommermärchen: Warum wir "Barbaras Rhabarberbar" dringend brauchten

Stern 
Social-Media-Hit: Ein Hauch von Sommermärchen: Warum wir

Aberacadabera! Millionen tanzen auf Tiktok zu deutschem Wortwitz. Ein Internethit holt in Vergessenheit geratene deutsche Talente zurück: Humor, Frohsinn, Leichtigkeit.

In meiner Kindheit galt es besonders im Ausland als Gewissheit, dass die Deutschen über keinen nennenswerten Humor verfügen würden. Mir war diese Behauptung schon damals wenig plausibel erschienen, schließlich kamen meine bevorzugten Humoristen von genau dort: der alten Bundesrepublik. Ich liebte alles von Loriot, verehrte die anarchistischen Sketche von Hape Kerkeling, fand die Wortspiele Heinz Erhardts genial. Von jenem Hamburger Kabarettisten, der bereits tot war, als ich seine Filme zu gucken begann, stammt einer der großartigsten Sätze, der auch ohne Spaßfaktor zur Lebensweisheit taugt: "Sie dürfen nicht alles glauben, was Sie denken!"

"Ja wo laufen Sie denn?" Altmeister Loriot prägte das Humorempfinden in der alten Bundesrepublik
"Ja wo laufen Sie denn?" Altmeister Loriot prägte das Humorempfinden in der alten Bundesrepublik
© CapitalPictures

Die deutsche Sprache scheint geradezu dafür geschaffen, Späße mit ihr zu treiben, viele Dichter und Humoristen haben sich dieser Herausforderung bravourös gestellt. So kam es, dass ich als Kind das abnorme Verhalten entwickelte, mit Freude Gedichte auswendig zu lernen. Am liebsten jene von Christian Morgenstern ("Ein Wiesel, saß auf einem Kiesel, inmitten Bachgeriesel"), Joachim Ringelnatz ("In Hamburg lebten zwei Ameisen, die wollten nach Australien reisen"), Robert Gernhardt ("Dich will ich loben, Hässliches, Du hast so was Verlässliches") oder des Österreichers Ernst Jandl ("Manche meinen lechts und rinks, kann man nicht velwechsern"). 

Würdige Erben der deutschen Humor-Klassiker 

Mit dem Kabarettisten Bodo Wartke hat dieses Genre einen würdigen Erben gefunden, dem es gelungen ist, das Prinzip des Zungenbrechers aus den Logopädie-Ratgebern in ein digitales Unterhaltungsformat zu transferieren. Schon sein "Dicker Dachdecker" sammelte hunderttausende Klicks ein. Nun hat der fröhliche Rap "Barbaras Rhabarberbar", den er mit dem großartigen Musiker und Parodisten Marti Fischer einspielte, einen weltweiten Trend ausgelöst. Alle möglichen "Dancefluencer" hüpfen auf TikTok und Instagram zu den deutschen Reimen. Recht sicher, ohne die vielen Reminiszenzen, die der Song enthält, auch nur im Entferntesten zu kennen.

Interview mit Bodo Wartke 18.21

Und derer sind es viele: der Originaltext von der "Rhabarber-Barbara" ist ein Klassiker des Sprechtrainings, bei Wartke und Fischer gesellen sich die französischen Zeichentrick-Figuren der Barbapapas aus den Siebzigern hinzu, das zauberhafte "Aberakdadabera" der Ersten Allgemeinen Verunsicherung, sowie das unsinnige Kinderlied von den "Drei Chinesen mit dem Kontrabass". Aus dem Hintergrund grüßt möglicherweise sogar Max Goldt, der einst forderte: "Barbara, mach Deinem Mann Bananen-Rhabarber-Marmeladensalat".

Millionen tanzen den Rhabarberbar-Dance

Es ist erstaunlich, wer alles zu diesem kleinen verspielten Schabernack und einer Choreographie, die sich zwei Tänzerinnen aus Sydney ausgedacht haben, seine Hüften schwingt: Allein heute Morgen wurden mir die Clips von Topmodel Rebecca Mir mit ihren All Stars als Reel eingespielt, Sally" Özcan mit dem selbstgebackenen Rhabarberkuchen in der Hand, eine Truppe Münchner Basketballspielerinnen, der kanadische Tanzstar Alex Wong, sowie ein Jahrmarktkünstler namens "Jack The Wipper" aus Boston, Massachusetts, der dafür berühmt ist, Hits mit einer Zirkuspeitsche nachzuschnalzen.

Auf TikTok kursieren zahlreiche Tutorials, um die Choreographie von Stephanie Graham Christina Anastasiades nachzutanzen.
Auf TikTok kursieren zahlreiche Tutorials, um die Choreographie von Stephanie Graham Christina Anastasiades nachzutanzen.
© Screenshot TikTok

Fischer und Wartke können sich offenbar selbst nicht so recht erklären, warum ausgerechnet ihr Liedchen zum viralen Megahit geworden ist. "Weil er gute Laune verbreitet", mutmaßt Wartke im stern-Interview. "Man hört und sieht uns die Freude an der Sprache und am Tanz an. Das überträgt sich über Ländergrenzen hinweg."

Was dieser Trend gerade in die Welt bringt, sollte man nicht geringschätzen. Deutschland ist zurzeit nicht gerade für seine gute Laune bekannt. Internationale Medien berichten vornehmlich über die wirtschaftliche Krise des Landes, den Vormarsch der Rechtsextremen. Die New York Times verbreitete dieser Tage einen geharnischten Artikel unter dem Titel "Wie Deutschland böse wurde", in dem die solidarische Haltung des Landes gegenüber Israel angeprangert wird. 

Fröhlich, trotz der Schwere unserer Zeit

Nun ist "Barbaras Rharbarberbar" alles andere als ein politischer Song, und genau das ist seine Stärke. "Das Lied hilft, Vorurteile abzubauen, weil die Leute merken, dass wir Deutsche Humor haben können und unsere Sprache nicht aggressiv klingen muss", sagt Wartke. "So gesehen tragen wir auch zur Völkerverständigung bei." Man sollte dem Internet-Hit nicht zu viel aufhalsen, aber dieser eine fromme Wunsch möge erlaubt sein. Ein bisschen dankbar darf man den beiden Spaßkünstlern Wartke und Fischer sein, denn ihr Werk steht für etwas, das die Deutschen immer konnten: Trotz allem fröhlich zu sein, der Schwere unserer Zeit mit Humor zu begegnen. Auch wenn wir erst Mai haben, weht ein kleiner Hauch von Sommermärchen durch diese Clips. Dieses bisschen Leichtigkeit, das wir alle nötig haben.

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